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Gespräch N° 50 | Kultur

Muamer Bećirović

„Das schneid' ma raus!“

„Kopf um Krone“ ist unlängst zwei Jahre alt geworden und steht nun vor dem 50. Gespräch!
Zu diesem Anlass haben wir uns einmal hingesetzt und mit Muamer Bećirović Seiten getauscht. Und keine Sorge, er führt kein Selbstgespräch – auch wenn wir mit diesem Gedanken gespielt haben. Stattdessen haben wir ein wenig geplaudert – ganz in „Kopf um Krone“-Manier, über seine Partei, die ÖVP, über den politischen Diskurs hierzulande, weshalb er eine schwarz-blaue einer rot-schwarzen Bundesregierung vorzieht und was ihn letztlich dazu brachte, „Kopf um Krone“ zu gründen.

Weiters erhalten Sie einen kleinen Blick „hinter die Kulissen“, einen Einblick, in das, was „Kopf um Krone“ ausmacht, das dahinterstehende Team.
Dieses Gespräch führte Nguyễn Tiến Thành und erschien am 7. April 2018, fotografiert hat Lukas Roberts.

Podcast

Kopf um Krone – zum Zuhören.
Kopf um Krone – zum Zuhören.
Muamer Bećirović: „Das schneid' ma raus!”
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Nguyễn Tiến Thành
Wir haben jetzt nach zwei Jahren die großen 50 hinter uns. Wie fühlst du dich nach zwei Jahren? Du bist ja eines der Aushängeschilder von „Kopf um Krone“.
Muamer Bećirović
Ja, es hat komisch begonnen, aber wie fühle ich mich? Ehrlich zugegeben, bin ich durchaus stolz, wenn ich sehe, wen wir als Gesprächspartner begrüßen durften: Das sind schon Größen. Viele Gespräche sind wirklich durch die Decke gegangen, auch im politischen Blasen-Bereich. Zudem bin ich um einiges erfahrener. Ich bin definitiv stolz, weil wir etwas Herausragendes zustande gebracht haben, und das mit elf Leuten, die ehrenamtlich daran arbeiten, alle zwei Wochen ein Gespräch zu veröffentlichen. Das ist nicht normal und wirklich beeindruckend, dass es funktioniert hat.
Nguyễn Tiến Thành
Inwiefern Erfahrungen? Meinst du für deine späteren politischen Ambitionen, solltest du welche hegen?
Muamer Bećirović
Ich bin eher bescheidener, was das angeht. Es beginnt schon bei der Frage: Wie organisieren wir das? Wie haben wir das am Anfang organisiert? Das Team ist ja immer wieder größer geworden. Wie organisieren wir alles drumherum? Wie bringt man einzelne Räder des Uhrwerks dazu, dass alles perfekt läuft? Es ist ja auch nicht einfach, das Ganze zu führen und am Ende des Tages ein vernünftiges Gespräch abzuliefern. Du sitzt da und liest die alten Gespräche durch. Ich lese sie schon hin und wieder.
Nguyễn Tiến Thành
Ein kleiner Einwurf: Ist es mehr Selbstbeweihräucherung oder Selbstkritik? Findest du dich so „geilomobil“-mäßig (beide lachen)
Muamer Bećirović

© Lukas Roberts

Muamer Bećirović
… das schneiden wir raus! (Anm. d. Redaktion: Natürlich haben wir das nicht „rausgeschnitten“. Unsere Gespräche waren schon immer ungekürzt und werden es auch bleiben.)
Nguyễn Tiến Thành
… oder findest du dich so „geil“? Ist es eher so: An dem müssen wir noch ein bisschen schrauben und bei dem könnten wir etwas besser machen? … oder ist es mehr Inszenierung?
Muamer Bećirović
Was heißt „Inszenierung“? Ganz ehrlich: Wir sind an einem Punkt angekommen, von dem – was wir an Einsatz und Ressourcen zur Verfügung haben – wir uns nicht mehr steigern können, außer wir bekommen morgen von Didi Mateschitz einen Anruf: „Hey! Hier habt ihr fünf Millionen. Macht was daraus!“ Das ist das Potenzial, das wir seit zwei Jahren auszuschöpfen versuchen, sei es mit Videogesprächen oder dergleichen. Ich würde es durchaus Selbstkritik nennen. Es gibt schon Momente, in denen ich sage: Ich hätte gern das Gespräch ein bisschen anders geführt, ich hätte da noch prägnanter sein müssen, ich hätte präziser sein müssen. Das passiert mir schon hin und wieder, aber sonst bin ich schon mit den neueren Gesprächen – zumindest ab der 20 oder 30 – bis 50 eigentlich zufrieden. Wenn ich die ersten Gespräche lese, denke ich mir schon, dass das verbesserungswürdig ist. Diese Gespräche würde ich heute vermutlich anders führen.
Nguyễn Tiến Thành
Ganz ehrlich: Wieso machst du das? Wir machen das ehrenamtlich bzw. freiwillig. Ich bin ja auch ein Teil davon, wie auch alle, die gerade hinter den Kameras stehen oder heute nicht anwesend sind. Natürlich kommt der Vorwurf: „Wahrscheinlich seid ihr ein ÖVP-Medium oder von der ÖVP irgendwie gesponsert.“
Muamer Bećirović
Ja natürlich, weil ich ÖVPler bin.
Nguyễn Tiến Thành
Du stehst offen dazu?
Muamer Bećirović
Ja klar, absolut! Was soll ich sagen? Ja, ich bin JVP-Obmann im 15. Bezirk. Soll ich sagen, ich sei das nicht? Ich glaube es ist ein viel offener und ehrlicherer Zugang, wenn ich im Gespräch hin und wieder, wenn es politisch wird, sage: „Hey, ich bin auf der schwarzen Seite. Du weißt, dass ich es bin, du kannst aber den Input nehmen, den wir zur Verfügung stellen bzw. veröffentlichen. Du kannst darüber nachdenken. Wenn dir die Argumentation gefällt, dann nimmst du sie an und wenn nicht, dann nicht.“ Wir machen kein „unzensuriert.at“. Egal wer es behauptet, so weit sind wir noch nicht.
Nguyễn Tiến Thành
Würde es dich stören, wenn man dich an nur an dem festmacht, dass du ÖVPler bist?
Muamer Bećirović
Das ist schwierig. Von außen kommt sowieso die Zuschreibung, wenn du einmal etwas Positives über die Partei oder die aktuelle Politik deiner Partei sagst: „Es ist ja klar, dass er das sagt, weil er ja aus der Partei kommt.“ Als politisch Tätiger fällt es dir selbst nicht auf, weil du in den Gremien sitzt, aber du kennst die Leute und du wagst es auch hin und wieder, Kritik zu äußern. Obwohl du es wagst, Kritik zu äußern, bist du trotzdem der Bursche, der aus der Partei kommt. Man kann es niemandem recht machen.
Wir machen kein „unzensuriert.at“.Muamer Bećirović über „Kopf um Krone“
Nguyễn Tiến Thành
Glaubst du das?
Muamer Bećirović
Ja, definitiv.
Nguyễn Tiến Thành
… auch nicht in der eigenen Partei? Glaubst du, gibt es da kritische Stimmen?
Muamer Bećirović
… ob es kritische Stimmen gibt?
Nguyễn Tiến Thành
Wegen deinem Engagement, weil du ein Politiker und in gewisser Weise auch Journalist bzw. Medienschaffender bist …
Muamer Bećirović
Du meinst also kritische Stimmen meiner Arbeit gegenüber?
Nguyễn Tiến Thành
Ja.
Muamer Bećirović
Ja schon, klar.
Nguyễn Tiến Thành
Inwiefern?
Muamer Bećirović
Ich glaube schon, dass es einige ärgert, aber ich glaube das sind Oberflächlichkeiten oder Animositäten. Es gibt aber sicher einige, die es ärgert, dass ich Leuten aus anderen politischen Gesinnungen eine Bühne anbiete, obwohl ich eigentlich aus einer christdemokratischen Perspektive diskutiere.
Nguyễn Tiến Thành
Apropos Christdemokratie: Ich will jetzt nicht allzu persönlich werden, aber du bist ein Moslem, oder? Um es provokant zu formulieren: Was hat ein Moslem in der ÖVP, einer christdemokratischen Partei, zu suchen?
Muamer Bećirović
Die Frage kommt selten. Hm …
Nguyễn Tiến Thành
Wenn man es rein am Namen festmacht: Muslim – Christ, scheint ein Widerspruch zu sein, oder?
Muamer Bećirović
Ja, ich glaube, dass es öffentlich so wahrgenommen wird. Faktum ist, dass alle drei Weltreligionen denselben Ursprung haben. Fakt ist, dass sich die Regionen viele Werte teilen: Die Zehn Gebote wirst du auch im Islam sowie in der Tora, also im Judentum, wiederfinden. Die Religionen sind weitaus kompatibler, als es von außen wahrgenommen wird. Ich glaube, die wenigsten Leute wissen überhaupt, dass alle drei abrahamitischen Religionen einen gemeinsamen Ursprung haben.
Nguyễn Tiến Thành
Die ÖVP ist eine konservative Partei, oder?
Muamer Bećirović
Konservative Elemente gibt es, ja …
Nguyễn Tiến Thành
Sagt konservativ sein nicht aus, dass das man alles beim Alten haben will, dass das Alte oder das Altbewährte besser ist als das Neue?
Muamer Bećirović
Es kommt darauf an, wie man es interpretiert. Konrad Adenauer sagt: „Konservativ sein bedeutet, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren.“ Das ist eher eine Formulierung, mit der ich etwas anfangen kann. Worum geht es da? Wenn du Veränderungen haben willst, kannst du sie nur Schritt für Schritt erledigen und dabei pragmatisch mit Augenmaß vorgehen. Das ist ein signifikanter Unterschied zur Sozialdemokratie.
Nguyễn Tiến Thành
Inwiefern?
Muamer Bećirović
Die Sozialdemokratie ist eher weniger eine Schritt-für-Schritt-Umsetzungspartei, sondern eher: „Wir verändern groß und schauen dann, was passiert.“ Das ist ein anderer Zugang.
Nguyễn Tiến Thành
… aber wäre es nicht klüger, langfristig zu tun zu haben, als immer nur auf die nächste Wahl versessen zu sein?
Muamer Bećirović
Das ist ein Grundproblem der Demokratie selber, also …
Muamer Bećirović

© Lukas Roberts

Nguyễn Tiến Thành
Naja, wenn man sich Japan anschaut. Japan ist auch eine Demokratie mit vergleichbaren Wahlen.
Muamer Bećirović
… und dort gibt es ein langfristiges Konzept für zukünftige Jahrzehnte?
Nguyễn Tiến Thành
Wenn man sich die jüngste Verfassungsreform von Shinzō Abe, dem Premierminister, anschaut, kann man natürlich darüber streiten, ob das sinnvoll ist oder nicht, aber die langfristige Ausrichtung, die japanischen Streitkräfte, die eigentlich keine sind, streng genommen eigentlich Selbstverteidigungskräfte, dass diese nicht nur in Japan, sondern auch im Ausland eingesetzt werden, um japanische Interessen zu verteidigen …
Muamer Bećirović
Ich verstehe, was du meinst …
Nguyễn Tiến Thành
Das ist ein langfristiger Zugang und wenn man sich anschaut: In Japan ist der politische Diskurs sehr langfristig ausgerichtet. Koreanische Unternehmen denken vergleichsweise auch sehr langfristig, wenn du dir die Firmengeschichten ansiehst.
Muamer Bećirović
Da würde ich dir zustimmen. Das ist eben kein klassisch europäisches Denken, was ein Fehler ist. Ich glaube, dass das ein großes Problem ist. Du siehst das auch unter den politisch Tätigen: Einen langfristigen Gedanken gibt es eher unter den Intellektuellen in der Politik.
Nguyễn Tiến Thành
Wie soll Wandel dann ohne langfristiges Denken geschehen?
Muamer Bećirović
Du hast ein Problem, du findest das vor: Wie löse ich es, wie konkret und wie schnell?
Nguyễn Tiến Thành
… und du glaubst, dass die derzeitige politische Situation in Österreich, deine persönliche Meinung, deine persönliche Ansicht, dass das erfüllt ist? Dass die Voraussetzungen für einen nachhaltigen Wandel erfüllt sind, was auch immer dieser Wandel sein mag?
Muamer Bećirović
Für die nächsten zehn Jahre.
Nguyễn Tiến Thành
Ist das langfristig? Das kann ich an den Händen abzählen.
Muamer Bećirović
Ja, stimmt, aber für die nächsten zehn Jahre ist es durchaus solide. Wir könnten jetzt auch sagen: „Diskutieren wir darüber, wie wir das Bildungssystem zwanzig oder dreißig Jahren lang ausrichten.“ Wenn du morgen die Mehrheit verlierst, wäre das auch umsonst.
Das Ding ist ja: Wir reden ja nur über Ausländer.Muamer Bećirović plädiert für einen neuen Fokus in der österreichischen Politik
Nguyễn Tiến Thành
Fehlt dir der Diskurs in der österreichischen Politik, insbesondere in deiner Partei?
Muamer Bećirović
In Bezug auf die Langfristigkeit?
Nguyễn Tiến Thành
Generell, einfach einen sachlich nicht-emotional geladenen Diskurs. Du wirst ja, wenn man sich auf deinen sozialen Medien umschaut, nicht selten persönlich angegriffen. Um ein paar Beispiele zu nennen: Es gibt da jemanden, der meint, dass du in der falschen Partei seist, dass du eigentlich mehr „rot“ bist als „schwarz“, dass du mehr der „Was hat der in ÖVP zu suchen?“-Typ bist …
Muamer Bećirović
Das ist ein blödsinniger Vorwurf. Ganz ehrlich: Der soll zu mir kommen, sich mit mir hinsetzen, und mir die Sozialdemokratie und die Christdemokratie erklären. Dann soll er mir sagen, wo ich zuzuordnen bin. Nur weil ich einen kosmopolitischen Ansatz habe, sagen solche Leute, ich sei der Sozialdemokratie näher. Ich kann mit deren Wirtschaftspolitik fast nichts anfangen, kann mit der Sozialpolitik wenig anfangen. Die Bildungspolitik von ihnen ist auch nicht meins. Das Ding ist ja: Wir reden ja nur über Ausländer. Woran machen wir fest, ob jemand der Sozialdemokratie oder der Christdemokratie zugeordnet ist? Ja, der ist eher migrationsfreundlich oder kosmopolitisch eingestellt, das ist eher sozialdemokratisch, das wird eher den Sozialdemokraten attestiert. Das ausländerskeptische Wesen oder die restriktive Flüchtlingspolitik sind eher die Christdemokraten. Das ist ein vollkommen banal geführter Diskurs. Dem trete ich nicht einmal bei.
Nguyễn Tiến Thành
Wurdest du schon einmal hinter vorgehaltener Hand oder deinem Rücken angegriffen?
Muamer Bećirović
In der Partei?
Nguyễn Tiến Thành
… hinter vorgehaltener Hand sowie hinter deinem Rücken.
Muamer Bećirović
… kommt darauf an. Die Partei hat tausende Mitglieder und dann findest du immer einen Spinner, der das meint. Das sagt man auch über Peer Steinbrück, den Sozialdemokraten, der eigentlich genauso zur CDU passen würde. Das hat man auch über Helmut Schmidt gesagt, bei dem es hieß: „Das ist eigentlich kein Sozialdemokrat, sondern ein Christdemokrat.“ Dieser Diskurs ist einfach banal geführt. Für Leute, die Profis in dem Bereich sind, ist das lächerlich.
Nguyễn Tiến Thành
Ist das nicht mehr ein Indiz dafür, dass heutzutage die Grenzen zwischen den Parteien in Österreich, vielleicht auch in Deutschland, verwaschen sind, dass man nicht mehr unterscheiden kann …
Muamer Bećirović
… gerade deshalb sage ich ja: Raus aus der Großen Koalition! Wir haben zwei konkurrierende Weltanschauungen. Soll die gewinnen, die die Leute draußen mehr wählen.
Nguyễn Tiến Thành
Wir haben gerade erörtert, dass die Grenzen zwischen den Anschauungen relativ verwaschen sind.
Muamer Bećirović
Mittlerweile nicht mehr: Das hat sich kürzlich losgelöst. Du siehst eindeutig: Die SPÖ kann mit ÖVP-Inhalten wenig anfangen und kritisiert sie.
Nguyễn Tiến Thành
Ist es nicht eher so, dass die SPÖ, vor allem unter Kern, weniger mit Kurz kann als mit der ÖVP als Partei an sich?
Muamer Bećirović
Nein, eine derartige Aussage würde ich gänzlich verneinen. Schau dir doch an, als die Parteien miteinander regiert haben: Da waren nur Minimalkompromisse. Es ist den beiden kein großer Wurf gelungen. Das hat einen guten Grund: Jede Partei versucht, so viel wie möglich von ihrem Programm umzusetzen bzw. ihr Klientel zufriedenzustellen. Wenn zwei Weltanschauungen aufeinanderprallen, kommt dabei Folgendes heraus: Du bekommst etwas, ich bekomme etwas und seien wir zufrieden damit. Das wollen die Leute nicht. Ich glaube, es ist vernünftig, dass es eine gesunde Konkurrenz zwischen den beiden Volksparteien gibt.
Muamer Bećirović

© Lukas Roberts

Nguyễn Tiến Thành
Das heißt, du wärst kein großer Freund von einer absoluten Mehrheit?
Muamer Bećirović
Für die ÖVP?
Nguyễn Tiến Thành
Generell.
Muamer Bećirović
Ganz ehrlich: Ich bin sofort dafür, dass wir das Mehrheitswahlrecht einführen. Beste!
Nguyễn Tiến Thành
Wieso?
Muamer Bećirović
Da muss man weniger Kompromisse eingehen.
Nguyễn Tiến Thành
Sicher?
Muamer Bećirović
Ja.
Nguyễn Tiến Thành
Ich persönlich glaube, das kommt auf die politische Kultur, auf die gesellschaftliche Kultur, an.
Muamer Bećirović
Wir sind es nicht gewohnt, zu streiten. Wir in Österreich sind doch die ersten, die beim ersten Schuss des Streites davonlaufen.
Ganz ehrlich: Ich bin sofort dafür, dass wir das Mehrheitswahlrecht einführen. Beste!Muamer Bećirović über das Mehrheitswahlrecht
Nguyễn Tiến Thành
Wenn man sich anschaut: die letzte Koalition.
Muamer Bećirović
Ja sie stritten, weil sie beide in der Regierung waren, aber inhaltlich gestritten? Ich weiß nicht, wann das letzte Mal inhaltlich gestritten wurde. Ich glaube aber, das kommt bald wieder, weil die Blöcke wieder vermehrt miteinander konkurrieren. Dann schaut man: Was sagt der, was sagt der andere? Wir führen ja kaum inhaltliche Debatten über gewisse Themen. Wir diskutieren beispielsweise über dieses elendige Rauchverbot, während renommierte Forscher, die sich zeitlebens damit beschäftigen, sagen, dass in zwanzig oder dreißig Jahren 40 Prozent der Berufe wegfallen werden. Wir diskutieren ernsthaft darüber, ob im Wirtshaus geraucht werden darf oder nicht. Uns geht es zu gut.
Nguyễn Tiến Thành
Glaubst du, dass das nicht ein Ausdruck dafür ist, dass die Leute auf Drama aus sind, dass die Leute sehr auf Versimplifizierung bzw. Plumpheit gedrillt sind? Glaubst du, ist das ein Teil der menschlichen Natur oder ist das mehr kulturell anerzogen?
Muamer Bećirović
Die Leute lieben Drama. Ich denke, es ist für viele interessanter, zu sehen, wie sich Politiker streiten, als inhaltlich seriös zu diskutieren.
Nguyễn Tiến Thành
Erachtest du das Kommunisten-Pamphlet von Sobotka, Lopatka oder gar von Kurz – man weiß ja nicht, von wem das genau stammte – gegenüber Kern als gut?
Muamer Bećirović
Nein, ich fand das unpassend. Ich dachte: Wollt ihr ihm jetzt Promo geben, wenn ihr ihn mit einem Kommunisten gleichsetzt? Was für eine Dummheit war das eigentlich? Keine Ahnung, wer das in die Wege geleitet hat. Ich fand es dämlich, anderen Leuten hingegen gefallen derartige Dramaszenen. Wenn du dir anschaust: 30 Prozent Tagesweitreiche oder Leseweitreiche hat meines Wissens nach beispielsweise die Krone. Das ist Drama pur: Die Leute wollen es und bekommen es.
Nguyễn Tiến Thành
30,1 Prozent sind es bei der Krone im Jahr 2017.
Muamer Bećirović
… es geht nur einiges verloren. Ich glaube, dass das Potenzial, das Österreich hat, um ein Vielfaches größer ist, als ihre politische Klasse derzeit hergibt.
Nguyễn Tiến Thành
… aber ist Politik nicht ein Spiegelbild der Gesellschaft?
Muamer Bećirović
Ja, ist es, aber ich glaube, dass du in der Vergangenheit mehr Achtung gegenüber dem Wissenden und dem Intellekt gehabt hast, als du sie heute hast.
Nguyễn Tiến Thành
Glaubst du das?
Muamer Bećirović
Ja, das glaube ich.
Nguyễn Tiến Thành
Woran machst du das fest?
Muamer Bećirović
Wenn ich mit Älteren sprechen, dann wird zumindest gesagt: Wir haben den gewählt, weil wir ihm zugetraut haben, dass er es schon vernünftig macht.
Nguyễn Tiến Thành
Das klingt folgendermaßen: Er drischt die großen Phrasen und wir folgen ihm.
Muamer Bećirović
Nein, es war schon viel durchdachter, finde ich, zumindest von den Äußerungen, die ich von den Älteren höre, zum Beispiel auch die Achtung vor einem Professor. Ich verstehe, dass Obrigkeitshörigkeit den Österreichern groß attestiert wird. Diese hat definitiv abgenommen, aber man hatte doch einen gewissen Respekt vor Leuten, die sich intellektuell beschäftigten. Wenn ich mir anschaue, wie der Mob über Facebook über Philosophen oder dergleichen herzieht, dann denke ich mir: „Alter Falter! Wie können die es wagen, jemanden wie Liessmann auch nur ansatzweise mit solch einer Plumpheit zu kritisieren?“
Muamer Bećirović

© Lukas Roberts

Nguyễn Tiến Thành
… aber Kritik ist schon gestattet?
Muamer Bećirović
Weißt du, wenn ich dem Liessmann zuhöre, dann gehe ich nicht raus und schmeiße ihm eine plumpe Phrase an den Schädel, sondern ich höre zu und versuche, es zu verstehen und wenn ich es nicht verstehe, frage ich nach. Wenn ich anderer Meinung bin, dann schaue ich, dass ich ziemlich gut darlege, wieso ich anderer Meinung bin. Mittlerweile sind wir ja so weit, dass wir sagen: „Ich bin anderer Meinung, ich muss das gar nicht mehr begründen.“ Fakten sind egaler geworden. Früher hast du zumindest die Ebene gehabt: Es gibt einen Fundus an Fakten und von den Fakten, die wir haben, leiten wir unsere Meinungen ab. Die können unterschiedlich sein, aber es ist derselbe Fundus an Fakten. Derzeit haben wir die Situation, dass es völlig egal ist, was der Fundus an Fakten ist, sondern wir haben Meinungen, wo wir den Fundus an Fakten gar nicht brauchen. Bei der Flüchtlingskrise beispielsweise waren es 150.000 Flüchtige. Die FPÖ hat jedoch von über 200.000 bis 300.000 oder dergleichen gesprochen. Kern hat einmal gesagt, – das finde ich spannend und da hat er nicht unrecht – dass wenn er unterwegs war und die Leute ihn über Ausländer gefragt haben und er sagte: „Ja, aber die zahlen mehr in den Sozialtopf ein, als sie rausnehmen“, hat ihm keiner geglaubt. Es ist ein Faktum, aber es hat ihm keiner geglaubt – „Fake News“. Das ist sehr interessant. Sobald du diese Ebene verlässt, dass du dich auf den Fundus von Fakten nicht mehr einigen kannst, von dem du verschiedene Meinungen ableitest, hast du, glaube ich, ein gewaltiges Problem in der Zukunft, weil man dann folgende Situation hat: „Ja, wie gestalten wir?“ – „Völlig egal, es ist meine Meinung.“ Was die USA erlebt, das kommt auf uns irgendwann möglicherweise auch zu. Das ist eigentlich die größte Sorge, die ich insgesamt für die Gesellschaft habe.
Nguyễn Tiến Thành
Was mich gerade wundert bzw. was ich mich gerade frage: Dein Background ist für österreichische Verhältnisse relativ spektakulär, wenn wir das kurz zusammenfassen können: Du bist ein Flüchtlingskind aus Bosnien, du bist in München geboren, bist dann nach Salzburg gekommen und von dort nach Wien gezogen. Du hast noch eine Zeit lang einen relativ „preußischen“ Einschlag in deiner Aussprache gehabt. Den scheinst du, ein wenig abgelegt zu haben.
Muamer Bećirović
… kann sein, das weiß ich nicht …
Nguyễn Tiến Thành
Wenn man sich anschaut: Du hast einmal in einem Gespräch erwähnt, – ich weiß jetzt nicht genau welches das war – dass du, auch wenn man sich deinen familiären Background anschaut, woher du stammst, was seine Eltern beruflich tun, dass du von „roten Maßnahmen“, von „roter Politik“, stark profitiert hast und profitierst. Warum bist du dann nicht bei der SPÖ? Zwar hast du vorher Bildungsfrage, Wirtschaftsfrage etc. angeführt, aber die SPÖ hat dir ja den Aufstieg ermöglicht. Das hast du selbst gesagt.
Muamer Bećirović
Ich muss zugeben: Die Bildungsreformen Kreiskys waren legendär. Ich glaube, dass ich persönlich den Aufstieg auch dadurch geschafft hätte. Ich glaube auch, dass das viele in der ÖVP ohne Kreiskys Reformen nicht geschafft hätten. Das heißt, dass es Progress gibt. Das ist schön, aber das heißt nicht, dass du nur deshalb, weil in der Vergangenheit vieles gut gelaufen ist, Parteizugehörigkeit wählst, die auf die Vergangenheit ausgerichtet ist. Es stimmt schon vom Background her: Da ich einen proletarischen Background, ein Flüchtlingsbackground, habe, ist es wahrscheinlich für viele fraglich, wieso ich nicht bei den Sozialdemokraten bin, aber ich würde es trotzdem verneinen. Die ÖVP zum Beispiel ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass es das Kindergeld gibt, ohne dem ich beispielsweise auch keine Chance gehabt hätte. Ohne dieses Geld, ohne diese 150 Euro, hätte ich das Gymnasium nicht geschafft.
Nguyễn Tiến Thành
Da sieht man doch, dass das pragmatische Zusammenarbeiten, sich auf einen Konsens zu einigen, doch funktioniert.
Muamer Bećirović
Ich glaube, dass das Kindergeld maßgeblich unter Schüssel – da war eine schwarz-blaue Regierung – kam. Es ist einfach besser, wenn die zwei Grundideologien separiert voneinander regieren und nicht unbedingt gemeinsam. Das ist vernünftiger und es kommt mehr dabei heraus.
Das heißt, dass es Progress gibt. Das ist schön, aber das heißt nicht, dass du nur deshalb, weil in der Vergangenheit vieles gut gelaufen ist, Parteizugehörigkeit wählst, die auf die Vergangenheit ausgerichtet ist.Muamer Bećirović gibt zu, von SPÖ-Politik profitiert zu haben, sieht sich dennoch in der ÖVP zuhause
Nguyễn Tiến Thành
Das heißt, du bist mehr ein Advokat für Streit?
Muamer Bećirović
Ich bin mehr ein Advokat für die Auseinandersetzung dieser zwei Blöcke, weil es die intellektuelle Auseinandersetzung der Parteien mit ihren Gegnern fördert und zum besten Ergebnis führt, um zu schauen: Ist das nicht naheliegende Kritik, kann ich sie nicht umdenken und was ist nun das beste Argument? Wenn beide koalieren, dann hast du das nicht.
Nguyễn Tiến Thành
Glaubst du nicht, dass es irgendeinen Punkt in der Gesellschaft gibt, an dem man sagen kann, es kann nicht mehr anders gehen, es ist alles perfekt so wie es ist? Ich kann nicht einfach nur Wandel des Wandels wegen betreiben.
Muamer Bećirović
Ja, aber ich glaube Kreisky hat einmal gesagt: „Der Sinn des Lebens ist das Unvollkommene.“ Ich persönlich würde das nicht als meinen Sinn des Lebens bezeichnen, aber ich verstehe, was er damit ausdrücken möchte. Das heißt: Die gesellschaftliche Entwicklung ist nie statisch, sie ist immer volatil. Er hat damit nicht unrecht: Es werden immer neue Dinge auftauchen, woran du arbeiten musst und selbst wenn du morgen sozusagen das Bildungsproblem rein faktisch behoben hast, werden andere Dinge im Bildungsbereich hinzukommen. Es werden andere Dinge im Wirtschaftsbereich hinzukommen. Es kommen immer neue Bereiche hinzu, sobald du die alten gelöst hast.
Nguyễn Tiến Thành
Wenn man sich die Globalisierung anschaut: Du hast ja gemeint: Veränderungen, Wandel. Es wird nicht langsamer, es wird immer schneller, es wird immer mehr – Internet. Das beflügelt das alles. Früher gab es nur die eine Nachrichtenquelle, die „Zeit im Bild“ am Abend, und heute gibt es das Internet, unendliche Weiten an Informationen, Hülle und Fülle überall – wahr oder falsch, weiß ich nicht, will ich jetzt aber nicht beurteilen. Wie glaubst du persönlich, kann man damit fertig werden, dass man auch etwas Konstruktives für die Gesellschaft hervorbringt?
Muamer Bećirović
In Anbetracht der globalisierten Welt?
Nguyễn Tiến Thành
Ja, angesichts der Entwicklungen. Du hast gemeint, Berufe werden wegfallen. Es sind einfach neue Gegebenheiten.
Muamer Bećirović
Es werden gänzlich neue Gegebenheiten sein. Wenn man bedenkt, dass sich der afrikanische Kontinent als solcher im Laufe des 21. Jahrhunderts vervielfachen wird und dort absolut instabile politische Verhältnisse vorliegen, da können wir damit rechnen, dass sich dort nicht 100.000 auf den Weg machen werden, sondern Millionen an Menschen. Das, was wir 2015 erlebt haben, ist erst der Anfang. Es ist ein Teil der Globalisierung, dass die Leute mehr zusammenrücken, dass die Welt ein Dorf wird. Der zweite Teil ist die wirtschaftliche Situation, die sich auch, wie genannt, verändern wird. Wie wirst du damit fertig? Ich glaube, wir kommen in ein gänzlich neues Zeitalter. Wir kommen in einem Zeitalter an, das seit der industriellen Revolution so einen Einschlag haben wird wie damals, jedoch einen vielfach stärkeren Einschlag als damals. Wir werden wahrscheinlich so wie wir jetzt da sitzen, einige Male die Berufe wechseln, gar keine Frage. Früher war es so, dass jemand in ein und demselben Betrieb bis zur Pension hindurch gearbeitet hat. Das wird sich nicht mehr spielen. Ein Mindset, das ich bewundere, ist das der Amerikaner: Du versuchst, aus den Individuen, die du hast, das maximale Potenzial herauszuholen, damit sie sich entfalten. Das bekommt, glaube ich, niemand so hin, wie es die Amerikaner tun. Deshalb sind sie auch das erfolgreichste Land der Welt, zumindest ökonomisch und militärisch. Ja, es braucht eine gewisse Offenheit und das Entfalten des Potenzials, das jeder Einzelne in sich trägt. Wie wir insgesamt damit fertig werden, das wird noch spannend. Das kann ich selber nicht beantworten.
Muamer Bećirović

© Lukas Roberts

Nguyễn Tiến Thành
Glaubst du, dass reden hilft? Du hast vorhin gemeint, dass der „gesunde Streit“, uns voranbringt und positive Ergebnisse mit sich zieht. Glaubst du, dass das hilft?
Muamer Bećirović
Ja, der zivilisierte Konflikt definitiv. Sogar Kant hat gesagt, dass der zivilisierte Konflikt als solcher Fortschritt bringt: Er ist der Ursprung des Fortschritts. Der Mensch sehnt sich nach Eintracht, verhindert sie aber durch seine verursachte Zwietracht und so entsteht der Fortschritt: Dass man nie mit den Verhältnissen zufrieden ist, sondern immer schaut, wie es besser werden kann. Hätte sich die Arbeiterbewegung gegenüber den Fabrikbesitzern nicht aufgelehnt, hätten sie nicht mehr Rechte bekommen. Das lässt sich fortführen. Hätte sich Frankreich nicht dem Feudalismus entledigt, hätten wir wahrscheinlich heute noch andere politische Verhältnisse. Fortschritt kommt immer dadurch, dass man sich mit Dingen auseinandersetzt.
Nguyễn Tiến Thành
Glaubst du, dass in Österreich momentan ein Mangel an Diskursbereitschaft vorherrscht?
Muamer Bećirović
An konstruktiver Diskursbereitschaft, definitiv, ja. Wir haben definitiv eine beschissene Streitkultur.
Nguyễn Tiến Thành
Ist das der Gedanke hinter „Kopf und Krone“?
Muamer Bećirović
Der Gedanke hinter „Kopf und Krone“ war: Wir reden mit jemandem, der eine Expertise in gewissen Bereichen hat und eine renommierte Persönlichkeit ist, diskutieren mit ihr über das Thema, das sie auch beschäftigt und du erhältst wirklich fundiert dargelegt eine Meinung bzw. Thesen. Ich kann damit etwas anfangen oder nicht. Eigentlich ist das schon ein Beitrag zur Diskussionskultur in Österreich. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen und es ist nicht schlecht, vor allem, wenn ich mir die politische Kaste anschaue. Es wird jedoch oft vieles persönlich genommen. Es wird draußen teilweise so wahrgenommen. Ich kann auch einfach überzeugt von einer Sache sein, „aber er will ja die Wähler in dem Spektrum abgreifen.“ Viele glauben, dass immer eine Strategie oder Taktik dahinter steckt. Das ist grundlegend falsch: So strategisch denkt ein Großteil der politischen Köpfe gar nicht.
Nguyễn Tiến Thành
Glaubst du, dass unser „Kopf um Krone“-Projekt irgendwie einen positiven Impact hat, einen positiven Einfluss auf das ganze System?
Muamer Bećirović
Ganz ehrlich: in der politischen Kaste schon. Du wirst es nicht glauben, aber die Bereitschaft, wieder heftige Auseinandersetzungen zu führen, hat auch damit zu tun, dass das durchaus Format gibt, auch innerhalb meiner Partei. Früher war es so: „Ja, der ist ein goscherter Kerl und den ignorieren wir.“ Mittlerweile kommst du aber nicht drumherum, sich mit den Sachen, die ich schreibe oder veröffentliche, auseinanderzusetzen, so unbescheiden das auch klingen mag. Die Sachen werden dann doch gelesen. Die Bereitschaft für den Diskurs wurde schon entfacht. Die Leute haben wieder Lust, mehr zu streiten, und das ist gut so.
Nguyễn Tiến Thành
Hast du einen persönlichen Wunsch für „Kopf um Krone“? Hast du ein abschließendes Wort?
Muamer Bećirović
Hm … (überlegt) Ganz ehrlich: Die Leute hinter der Kamera machen den hier (Bećirović deutet scherzend eine Geste an, die eine Geldauswurfmaschine nachahmt)
Nguyễn Tiến Thành
(ironisch) Ja, das mit Spenden zu tun, kommt immer gut an.
Muamer Bećirović
(scherzend) … ja, bitte spenden! Nein, es ärgert mich schon, weil jeder von uns zahlreiche Stunden investiert. Das ist ja völlig irre. Am Ende wird es sogar gelesen, aber du kannst die Arbeit dadurch nicht erhalten. Ich würde mir wünschen, dass wir es schaffen, das Konstrukt ökonomisch auf vernünftige Beine zu stellen. Ich weiß, das ist eine riesige Herausforderung, aber dennoch ein Ziel. Wir haben Großartiges geleistet, finde ich. Ich bin auch jedem einzelnen dafür dankbar. Ich glaube, da ist etwas über die zwei Jahre zusammengewachsen und wenn das ökonomisch auch noch laufen würde, wäre das herrlich. Wir haben schon herausragende Gespräche ermöglicht und ich glaube es werden noch viele herausragende folgen, auch außerhalb von Österreich. Wir strecken die Fühler inzwischen schon nach Deutschland aus und da gibt es bereits eine sehr positive Resonanz, u. a. von deutschen Bundestagsabgeordneten. Das sind Leute, die durchaus beachtlichen Einfluss haben. Österreich ist mittlerweile zu klein, Baby!
Nguyễn Tiến Thành
Zwei Jahre „Kopf um Krone“, herzlichen Dank!
Muamer Bećirović
(euphorisch) Wuhuuu!
Ein paar Gedanken der Menschen hinter „Kopf um Krone“ anlässlich des 50. Gespräches und des zweijährigen Geburtstages.

 

© Julius Hirtzberger

Katharina Zangerl
Gespräche

Lustige „Kopf um Krone“-Anekdoten habe ich einige im Kopf – insbesondere kann ich mich sehr gut an das Gespräch über die Beziehung EU-Russland mit Monica Macovei erinnern. Unser Termin begann schon mal mit dem Hinweis ihrerseits, sie hätte lediglich 20 Minuten Zeit und wir sollen es dementsprechend sehr schnell hinter uns bringen. Wir begannen zu diskutieren und es wurde ganz schnell sehr spannend und hitzig. Ihre Assistentin saß die ganze Zeit mit uns am Tisch und wies ungeduldig mehrmals auf die bereits abgelaufene Zeit und den nächsten, anstehenden Termin hin. Frau Macovei war bereits zu spät dran, aber das Gespräch war gerade so interessant und weder sie noch ich hatten Interesse daran, es zu beenden. Irgendwann konnte man bemerken, dass ihr die ständigen Terminerinnerungen der Assistentin auf die Nerven gingen. Sie warf ihr gar einen bösartigen Blick zu und hat dann eigenhändig den anstehenden Termin abgesagt. Frau Macovei und ich haben schließlich noch zwei weitere Stunden geplaudert und uns für ein neuerliches Treffen verabredet (das kam dann aber leider nie zustande).

Bei meinem ersten Gespräch (mit Ulrike Lunacek) – und überhaupt bei „Kopf um Krone“ – war ich sehr nervös. Das Gespräch selbst verlief dann eigentlich ganz gut, trotzdem wollte die Nervosität nicht so recht nachlassen. Auch nach dem Gespräch, als wir noch Porträtfotos von ihr machten, war ich noch immer ein wenig eingeschüchtert. Um die Porträtfotos schießen zu können, hat sich Frau Lunacek einfach vor ihre Tafel gestellt und mich gebeten, ihr einen Witz zu erzählen. Sie meinte, wenn schon auf Fotos lachen, dann am besten natürlich. Von dieser Anfrage ein wenig überfordert, konnte ich – in all meiner Anspannung – nur an absolut sexistische Witze denken. Einen solchen, einer langjährigen und engagierten Frauenrechtlerin zu erzählen, hielt ich aber für unangebracht. Deshalb entschuldigte ich mich mit den Worten: „Liebe Frau Lunacek, leider fallen mir gerade nur schweinische Witze ein und damit will ich ihnen nicht kommen.“ Darüber musste sie dann herzlich und vor allem natürlich lachen – das sieht man auch auf den Fotos.

 


 

© Julius Hirtzberger

Ahmed Gadelrab

Transkription, Social Media

Ich bin erst im späteren Verlauf dazugestoßen. Bis heute bin ich überrascht, wie gut ich ins Team von „Kopf um Krone“ aufgenommen wurde. Davor hatte ich die Sorge, dass man auf mich herabblicken würde, weil ich die Angst hatte, dass ich mit den anderen intellektuell nicht mithalten könnte. Letztlich waren alle Sorgen ungerechtfertigt. Selbstverständlich ist es unumgänglich, dass Fehler passieren. Anfangs war ich eine äußerst introvertierte Person, sodass die mir zugewiesene Aufgabe der Social-Media-Betreuung einiges an Selbstüberwindung abverlangt hat. Es war, als ob ich ins kalte Wasser gestoßen wurde, doch niemand im Team verurteilte mich deswegen. Stattdessen wurde ich immer freundlich auf Fehler hingewiesen und wenn nötig, griff man mir ohne zu zögern unter die Arme. Ich bin allen bei „Kopf um Krone“ unendlich dankbar. Ich hatte zuvor keine größeren Ambitionen und Zukunftspläne, verbrachte wie ein Süchtiger viel Zeit mit Videospielen. Doch mein Engagement bei „Kopf um Krone“ lehrte mich, hart und gewissenhaft zu arbeiten, Disziplin, Motivation und allen voran einen unglaublichen Arbeitsethos. Auch die persönlichen Teamtreffen bereiten mir viel Freude. Selten lache ich so viel, auch weil die anderen viel Zeit damit verbringen, Muamer regelrecht – natürlich auf freundschaftlicher Basis – zu „verarschen“. Das Ganze ist wie ein unbezahlter Teilzeitjob – niemand bekommt Geld für Tätigkeiten, die viel Zeit und Arbeit verschlingen. Manchmal habe ich dennoch den Eindruck, zu wenig Anerkennung (ich bezweifle, dass unsere Leser wissen, wie viel Aufwand jedes Gespräch fordert) für meine zehn bis zwölf Stunden Arbeit pro Gesprächstranskription zu bekommen. Am Ende des Tages macht mir das aber nichts aus. Ich würde sogar behaupten, dass „Kopf um Krone“ mein Leben verändert hat. Und ich werde solange dabei sein, „bis die Rolex am Arm sitzt“ – wie wir intern immer spaßen.


 

© Julius Hirtzberger

Alexander Kaindl
Grafiken, Videocrew, Tonbearbeitung, Technik

Besonders einprägsam war unser Gespräch mit Christian Kern. Ich denke, dass das das wohl beste Gespräch war, an dem ich mitgewirkt habe. Das Gespräch selbst ist wohl auch Zeugnis unseres Weges hierher – zum 50. Gespräch. Anfangs nutzten wir noch unsere eigenen Handys für die Aufnahmen der Videogespräche, heute haben wir uns – dank all den großzügigen Spenden unserer Leserschaft – Videokameras und entsprechendes Equipment leisten können. Es ist ein tolles Gefühl, all die harte Arbeit in einem tollen Gespräch aufblühen zu sehen. Natürlich gibt es intern hier und dort Reibereien, aber letzten Endes bin ich froh, dass „Kopf um Krone“ soweit gekommen ist und bin gespannt, wohin wir noch gehen werden.

 


 

© Julius Hirtzberger

Lukas Roberts
Lektorat

Es ist mir eine große Ehre, Teil des Lektorenteams bei „Kopf um Krone“ zu sein. Auch wenn ich erst relativ spät dazugestoßen bin, durfte ich schon hinter einigen Gesprächen mit „großen Fischen“, unter anderem Christian Kern und Matthias Strolz, stehen. In nächtelangen Odysseen gebe ich mein Bestes, um „Wunderwerke“ für unsere Leser zu vollbringen, indem ich beispielsweise aus einem gescheiten, vielsagenden „Äh“ einen grammatikalisch korrekten Satz baue. Die Arbeit mache ich gern, weil ich die Gesprächskultur in diesem Land fördern will und weil sie mir riesigen Spaß bereitet. Besonders unsere Teamzusammensetzung mag ich, weil Muamer mit seiner Parteizugehörigkeit allein dasteht. Entsprechend lustig gestalten sich des Öfteren auch unsere internen Diskussionen. Doch irgendwann wird auch Muamer einsehen, dass „die Macht“, von der er immer redet, nur einem gehört: dem Volk. Und den Jedis natürlich.

 


 

© Julius Hirtzberger

Bernhard Ibl
Projektmanagement, Videocrew, Technik

Ich kann mich noch sehr gut an unser hatschertes Release erinnern: Einen Tag davor sprang der Webdesigner der alten Seite ab, aber trotzdem schafften wir es mit einer intensiven Nachtschicht, wie angekündigt online zu gehen.

Aber auch solche Startschwierigkeiten konnten uns nicht aufhalten. Besonders stolz bin ich auf unser Gespräch mit Stefan Petzner, mit dem wir in Hinblick auf die Bundespräsidentenwahl 2016 einen ungeahnten Erfolg landeten – und das Gespräch sogar im Fernsehen zitiert wurde. Doch es war wahrlich kein einfacher Weg bis hierher. Wir hatten und haben nach wie vor keinen großen finanziellen Spielraum, arbeiten zu hundert Prozent in unserer Freizeit an „Kopf um Krone“ und drehen bei sämtlichen Neuanschaffungen jeden einzelnen Spendencent dreimal um.

Ein großes Dankeschön gebührt hier unseren treuen Spendern: Als wir mit den Videogesprächen – recht unbeholfen – anfingen, mussten noch unsere eigenen Privathandys herhalten. Niemand wusste, ob die Aufnahme gelingen würde, keiner war sich sicher, ob ein einfaches Mobiltelefon Muamers stundenlanges Gerede aushielt. Mehrmals fielen Geräte auch einfach mittendrin aus.

Doch mit jedem Gespräch konnten wir dazulernen, mit jeder kleinen und großen Spende unser Equipment verbessern und so ein Niveau erreichen, das sich meiner Meinung nach wirklich sehen lassen kann.

Es macht unglaublich viel Spaß, im Ideal geeint, daran zu arbeiten, die österreichischen Medienlandschaft ein wenig zu bereichern und die Opposition gegen den Boulevard – wenn auch nur ein kleines Bisschen – zu verstärken.

 


 

© Julius Hirtzberger

Matthias Balmetzhofer
Transkription, Gespräche

Allein einen geeigneten Namen zu finden, war eine unglaubliche Tortur. „Kopf um Krone“ wäre anfangs fast am Namen gescheitert. Wir haben an die fünf Treffen gebraucht, bis wir eine halbwegs brauchbare Auswahl an Namensideen zusammengetragen hatten. Wir hatten teils echt verrückte Ideen. Es war ein überaus lustiges Unterfangen. Je länger die Treffen dauerten, desto spaßiger wurde es, weil es schien, als ob wir uns vom „richtigen“ Namen immer weiter weg entfernten. Letztlich einigten wir uns damals notgedrungen auf „Kopf um Krone“ – ein Name, mit dem wir, im Nachhinein betrachtet, überaus glücklich sind.

 


 

© Julius Hirtzberger

Raphael Niederhauser
Website, Websitedesign

09:50. Das Gespräch mit Christian Kern muss um 10:00 raus. Läuft alles?
Verdammt, irgendwas auf der Website spinnt, die Fehlersuche beginnt. Vielleicht nur eine falsche Konfigurationsdatei? Oder doch eher ein logischer Fehler im Programmcode?

09:54. Schnell den Kollegen im Chat geschrieben. Unsere Server-Administratoren basteln inzwischen an einer schnellen Lösung, während ich der Ursache auf den Grund gehe.

09:58. Ha! Das war’s. Die Seite läuft wieder.

So sehen die Minuten vor der Veröffentlichung eines Gesprächs immer wieder mal aus. Ohne ein großartiges Team wäre das alles nicht zu schaffen.

 


 

© Julius Hirtzberger

Nguyễn Tiến Thành
Lektorat, Videocrew, Videoschnitt, Social Media, Gespräche

Es ist immer belustigend, wenn der Vorwurf aufkommt, wir wären ein ÖVP-Medium. Gut, vermutlich liegt das an der politischen Landschaft und der sie begleitenden Medien in Österreich. Man sagt ja, es gebe „rot-lastige“ Zeitungen, „schwarz-affine“ (oder wie es seit Neuestem heißt: „türkis“) Publikationen und auch sonst Medien aller erdenklichen Farben (wir wollen ja keine Farbe diskriminieren). Vielleicht liegt es auch am jahrzehntelangen Proporzsystem, das Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut hat – ein System, das mitunter zum Schablonendenken verleitet. Jedenfalls erleben wir – und ich denke, dass das unbestreitbar ist – seit einiger Zeit eine noch vehementere Kategorisierung im gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Ich hege die Befürchtung, dass es nicht wenigen schwerfällt, zu glauben, dass Menschen unterschiedlicher Ausrichtung geeint an einem Projekt wie „Kopf um Krone“ zusammenarbeiten können – und nebenbei auch noch ganz gut persönlich miteinander können, selbst wenn Muamer als einziger ÖVP-ler im Team in dieser Hinsicht ein „Außenseiter“ ist. Aber das sollte der lebende Beweis sein, dass es auch anders geht, dass wir auch – egal wie verschieden man auch ist – zumindest miteinander reden, einander zuhören können. In der Hoffnung, dass „Kopf um Krone“ zumindest ein wenig Gesprächskultur in Österreich zu fördern vermag, kann ich auch ganz gut damit leben – vorerst jedenfalls –, als unbezahlte asiatische (dass ich asiatischer Abstammung bin, lässt sich wohl schwer leugnen) Arbeitskraft alles Mögliche dazu beizutragen.

 


 

© Julius Hirtzberger

Stefan Mayer
Co-Founder & Manager, Social Media

Eigentlich war die Idee ja ganz simpel. Gespräche statt Interviews, echte Konversationen statt Frage-Antwort-Struktur, tiefgehende gesellschaftliche Diskurse statt oberflächlicher Tagespolitik. Persönlichkeiten statt, nun ja, Maskeraden.

„Das wird einschlagen wie eine Bombe.“ Said nobody, ever. In einer Gesellschaft, in der das bloße Aufschnappen einer Schlagzeile Anlass genug für das Hinterlassen einer digitalen Hasstirade in Romanlänge bietet, hat man es mit abendfüllenden Grundsatzdiskussionen über Gott und die Welt wahrlich nicht leicht.

Ironischerweise war genau das unser Ansporn.

„Das soll ein Interview sein!?“ Mit diesen Worten habe ich meinem guten Freund Muamer im September 2015 die Innenpolitik-Sektion der Presse auf den Bartisch im „Vapiano Europaplatz“ geknallt. Seine verwunderten Augen schweiften über das Portaitfoto eines österreichischen Ministers, darunter fünfhundert Wörter Interview über Rücktrittsgerüchte, Parteigezänke und Haustiere. „Und, was soll ich damit?“ Muamer war verwirrt. „Gar nichts“, sagte ich. „Das ist es ja.“

Von da an dauerte es nicht mehr lange, bis sich zwölf idealistische, ambitionierte Köpfe unter dem Namen „Kopf um Krone“ der Revolution der österreichischen Diskussionskultur verschrieben hatten. Heute kann ich mit Stolz auf 50 Gespräche zurückblicken, alle auf ihre Art und Weise einzigartig, provokant und manchmal auch etwas naiv, aber immer eines: authentisch.

Wer aber denkt, Kopf um Krone hätte jetzt seine Aufgabe getan, der irrt gewaltig. Wir sind gerade erst warm geworden. Und wir hören nicht auf, bis Barack Obama anruft und um einen Termin bittet. Habe ich erwähnt, dass wir ambitioniert sind?

 


Unser Logo entstammt den begabten Händen von Madeleine Gromann.

 

Aber auch unsere Fotografen leisten einen wesentlichen Beitrag zu „Kopf um Krone“!
Bis zum 50. Gespräch haben Sie großartige Fotos von diesen Fotografen gesehen:

Dersim Cakmak

Raphael Moser

Julien Pflanzl

Jeff Mangione (www.jeffmangione.com)

Julius Hirtzberger

Sergiu Andres

Samuel Erik Colombo (www.samuelcolombo.net)

Annelein Daar

Daniel Willinger (www.dwphoto.at)

Daniela De Lorenzo

Marian Haderlap

Benjamin Thomes (www.facebook.com/benjaminthomesphotography)

Lukas Roberts

 


 

Wir danken Ihnen für Ihre Treue und Interesse!

Kopf um Krone