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Gespräch N° 54 | Kabinett

Heinz Faßmann

„Es gibt zu viele blaue Wolken“

„Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können“, soll Kǒng Fūzǐ – im Westen vor allem unter seinem latinisierten Namen „Konfuzius“ bekannt – über das Lernen gesagt haben. Viele sagen auch, dass das Lernen ein lebenslanger Prozess sei, dass es keineswegs mit einem Schulabschluss ende. Ähnlich sieht es auch Österreichs Bildungsminister Heinz Faßmann, Universitätsprofessor für Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung. Lernkurven seien ansteigend, meint er im Gespräch mit Darius Pidun, während er für ein „lebensbegleitendes Lernen“ plädiert. Über Brillen, Pragmatismus, den Wunsch, Kindern Flügel zu geben, und Add-ons des Lehrplans.
Dieses Gespräch führte Darius Pidun und erschien am 19. September 2018, fotografiert hat Benjamin Thomes.
Darius Pidun
Sie sind über viele Jahre in Österreich und in Deutschland in der Integrations- und Migrationsfrage beratend tätig gewesen. Sie haben Ihre fachliche Expertise mit politischen Verantwortungsträgern geteilt. Jetzt sind Sie seit geraumer Zeit Bildungsminister. Ich könnte mir vorstellen, dass das ein ganz beachtlicher Perspektivenwechsel ist. Was mich zu Beginn interessieren würde, wäre: Inwiefern hat sich Ihre ganz eigene Sicht auf den gesamten politischen Prozess in dieser Zeit geändert?
Heinz Faßmann
Also eine Korrektur muss ich zunächst anbringen. Ich hatte keinen Perspektivenwechsel, ich sehe die Sachen noch genauso wie vorher. Aber ich habe dazu gelernt, wie komplex politische Entscheidungsprozesse ablaufen, insbesondere auch aufgrund der föderalen Strukturen Österreichs. Ich hatte ein, wenn man so will, theoretisches Verständnis von Politik und politischen Entscheidungsstrukturen Österreichs, und ich habe nun ein praktisches Verständnis. Also dahingehend bereue ich auch nichts (lacht), weil ich jetzt einfach klüger geworden bin und weiß, wie Politik abläuft. Das ist eine spannende Sache, finde ich, und sehr empfehlenswert.
Darius Pidun
(lacht) Das klingt sehr optimistisch, immer noch voller Elan und Tatendrang. Sie plädieren ja in der gesamten Debatte um das österreichische Bildungssystem, wenn ich Sie richtig verstehe, für mehr Realismus – in dem Sinne, dass man einfach die Realitäten, wie sie derzeit in unserer Gesellschaft vorhanden sind, anerkennt, und versucht, pragmatische Lösungen zu finden. Was begründet Ihre Skepsis gegenüber ideologischen Zugängen in dieser gesamten Bildungsdebatte?
Heinz Faßmann
Ideologien verstellen den Blick auf die Realität. Ideologien sind Brillen, die man aufsetzt und durch die man die Realität verzerrt, verfärbt, anders als sie wirklich ist, sieht. Also dahingehend stehe ich den ideologischen Zugängen skeptisch gegenüber. Natürlich hat jeder seine Grundideen und damit auch eine ideologische Grundposition, das ist ja gar keine Frage, aber man muss diese immer wieder reflektieren, damit man nicht der Gefangene des eigenen Weltbilds wird. Also dahingehend habe ich meine Skepsis gegenüber denjenigen, die von Normativen ausgehen und sagen, dass man allen Kindern Flügel geben oder dass unser Bildungssystem neu gebaut werden müsse. (Pidun lacht) Das ist alles wunderbar, aber ich bin bescheidener: Wie funktioniert unser System? Wo gibt es die Schwächen? Wo können wir ausbessern? Das ist der Realismus, den ich gerne einmahnen würde.
Also dahingehend habe ich meine Skepsis gegenüber denjenigen, die von Normativen ausgehen und sagen, dass man allen Kindern Flügel geben oder dass unser Bildungssystem neu gebaut werden müsse.Heinz Faßmann über an Realismus mangelnden Visionen
Darius Pidun
Also ich verstehe Sie richtig, dass Ihnen das zu viel ist, dass es zu viele ideologische Beiträge in der aktuellen Bildungsdebatte gibt.
Heinz Faßmann
Ja. Es gibt zu viele blaue Wolken, die ganz weit oben schweben. In Wirklichkeit müssen wir schauen: Fühlen sich Schülerinnen und Schüler und die Lehrerinnen und Lehrer wohl? Wie können wir für das Funktionieren sorgen, bevor wir überhaupt in den Himmel hinaufschauen?
Darius Pidun
Was ideologische Zugänge vor allem im Bildungssektor so an sich haben, ist, dass sie auch einen Blick in die Zukunft werfen wollen. Was ja eigentlich nicht falsch ist.
Heinz Faßmann
Genau.
Darius Pidun
Jetzt wird generell darüber diskutiert, wie man Politik in Zukunft gestalten soll, und da gibt es verschiedene Politikertypen. Also da gibt es den einen Typus, der sehr pragmatisch rangeht, und Probleme auf sich zukommen lässt, sozusagen ruhig abwartend mit Problemlösungen arbeitet. Und dann gibt es Leute, die sich beschweren und sagen: „Wir brauchen eigentlich viel mehr Leute, die in die Zukunft schauen, die Politik gestalten wollen.“ Gibt es nicht auch bis zu einem gewissen Grad einen Engpass in der österreichischen Bildungsdebatte, was Gestaltungsthemen in der Zukunft angeht?
Heinz Faßmann
Ja, vielleicht, vielleicht auch nicht, schwer zu sagen. Wir, oder ich, sind sicherlich angetreten, weil wir ein leistungsfähiges Bildungssystem haben wollen. Ein Bildungssystem, in dem sich Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und Eltern wohl fühlen. Ein leistungsfähiges System, das am Ende von junge Menschen verlassen wird, die auf ihren eigenen Beinen stehen und ihre nicht-alimentierte Existenz in der Gesellschaft beginnen können. Junge Menschen, die insgesamt auch dazu beitragen, dass sie dem Standort Österreich, als einem attraktiven Gesellschafts- und Wirtschaftsstandort in Europa, einen neuen Glanz verleihen können. Also dahingehend weiß ich schon, wohin es hinausgehen soll. Auf der anderen Seite weiß ich, dass Veränderungen im Bildungssystem hartes Brot darstellen, weil viele Stakeholder und Gruppen mitreden möchten, beispielsweise die Lehrergewerkschaft. Hier gibt es aber nicht nur eine Lehrergewerkschaft, sondern mehrere, genauso wie Eltern- und Schülerverbände und die föderale Struktur. Die einen Länder wollen dies und die anderen Länder das. Das sind echte Herausforderungen. Deswegen überwiegt halt manchmal die Pragmatik im Handeln und nicht das Verfolgen visionärer Ziele, weil selbige ausgesprochen schwierig zu erreichen sind.  

© Benjamin Thomes

Darius Pidun
Sie haben ja gerade selber angesprochen, wo die Reise sozusagen hingehen soll. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sollen die Schüler und Schülerinnen ein Stück weit selbstständig im Leben stehen, aber gleichzeitig einen gesellschaftlichen Mehrwert darstellen können.
Heinz Faßmann
(zustimmendes Nicken)
Darius Pidun
Das ist ganz spannend! Ich habe in einer Debatte Ihre Meinung – Sie wurden ja auch relativ kritisch befragt – rund um die Diskussion von „Deutsch-Förderklassen“ vernommen. Ich kann mich an den Satz erinnern, dass das ein Teil von einem größeren Plan sei.
Heinz Faßmann
(zustimmendes Nicken)
Darius Pidun
Wie würden Sie Ihren Plan relativ einfach umschreiben? Also diesen großen Plan?
Heinz Faßmann
Dieser große Plan ist auf die Integrationsfrage ausgerichtet und der Bildungsbogen ist ein Teil dieses Plans. Wir sagen: Der Kindergarten ist die erste vorschulische Bildungsinstanz und dieser bietet bisher ungenütztes Potential! Gerade die vorschulische Sprachausbildung könnte man sehr stark in den Kindergarten verlagern. Dann kommt die Volksschule. Wir haben derzeit in den Bundesländern eine unterschiedliche Schnittstelle zwischen Kindergarten und Volksschule. Wer in die Vorschule kommt oder direkt in die Volksschule ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. In dem Bereich werde ich tätig werden.  Die nächste Schnittstelle ist dann von der Volksschule in eine NMS oder in eine AHS und auch das läuft unterschiedlich ab. Elternwünsche sind oft entscheidend, aber auch der Standort. Lebe ich im ländlichen Raum, schaut die Bildungsentscheidung anders aus als in der Großstadt. Abermals gilt es, diese Schnittstellen zu optimieren. Und dann am Ende der Pflichtschulzeit müssen wir schauen, dass die Situation für jene ohne Abschluss verbessert wird. Denn es kann ja nicht sein, dass am Ende der Pflichtschulzeit junge Menschen genau das nicht erreichen, was ein Bildungsziel darstellt, nämlich auf eigenen Beinen in der Gesellschaft zu stehen.
Darius Pidun
(zustimmendes Nicken)
Heinz Faßmann
Und man soll auch nicht unbedingt sagen: Jetzt muss es die gemeinsame Schule von zehn bis 14 Jahren geben. Das ist gar nicht so sehr der Punkt, sondern viel wichtiger ist der damit in Zusammenhang stehende Bildungsbogen.
Der Kindergarten ist die erste vorschulische Bildungsinstanz und dieser bietet bisher ungenütztes Potential!Für Heinz Faßmann beginnt es schon im Kindergarten
Darius Pidun
Sie haben vorhin schon angesprochen, dass die Bildung auch unmittelbar mit dem Wirtschaftsstandort Österreich zusammenhängt, somit mit der Attraktivität, was Österreich auf der wirtschaftlichen Ebene leisten kann. Die aktuelle Oxford-Studie zur „Arbeit in der Zukunft“ geht davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren – das sind jetzt grobe Zahlen – knapp die Hälfte aller derzeitigen Jobs wegfallen wird. Nun weiß man über Oxford-Studien zur Zukunft der Arbeit, dass diese immer tendenziell einen sehr negativen Ausblick mit sich bringen. Nichtsdestotrotz sind sich die Experten vieler Studien dahingehend einig, dass unter anderem auch durch die Digitalisierung, derzeit und vor allem in Zukunft, drastische Änderungen in unserem Arbeitsleben vor der Tür stehen. Es wird dahin gehen, dass es weitaus weniger Angestelltenverhältnisse gibt. Es wird mehr Selbstständigkeit in unserer Gesellschaft geben; dazu ein ganz starker Anstieg von Leiharbeitsverhältnissen, das sehen wir teilweise jetzt schon, beziehungsweise haben wir das in den letzten paar Jahren schon gesehen. Und dann ganz spannend: Ein massiver Wegfall der Jobs, die wir mehr oder weniger dem Mittelstandssektor zuordnen würden. Da steht ein massiver Wandel unserer Arbeitswelt vor der Tür. Jetzt kann man natürlich trefflich darüber streiten, in welchem Ausmaß das letztendlich eintreten wird. Fakt ist, da ist derzeit einiges im Wandel! Ich bin mir sicher, dass Sie mit diesen Studien vertraut sind. Welche Implikationen hat das aus Ihrer Sicht für die Zukunft des österreichischen Bildungssystems?
Heinz Faßmann
Dass sich berufliche Inhalte verändern werden, ist definitiv so. In welcher sozialgerichtlichen Hülle man seine Tätigkeit ausüben wird, hängt immer auch von den nationalstaatlichen, sozialrechtlichen Systemen ab. Ob es immer nur eine neue Selbständigkeit geben wird? Das ist eine gewagte Vermutung, aber, dass sich die beruflichen Verhältnisse verändern, das ist überhaupt gar keine Frage. Unser Bildungssystem muss sich auch die grundsätzliche Frage stellen: Wie können wir Kinder fit für die Veränderung machen? Kinder, Jugendliche und später auch Studierende nicht auf ganz spezifische Inhalte fixieren … (unterbricht Gedanken, ergänzt ihn) … die braucht man jedoch natürlich auch, denn ein Jus-Studium ist ohne spezifische Inhalte nicht durchführbar. Aber wir müssen dennoch auch immer dazusagen: Wie könnt ihr Veränderungen erfassen? Wie könnt ihr euch neue Informationen beschaffen? Wie könnt ihr mit dem neuen Wissen und mit dem alten Wissen besser umgehen? Das ist so eine wichtige Sache: fit machen für die Veränderung. Wenn ich mir überlege: Ich habe in meinem Leben etliche Berufe gehabt, die zwar alle irgendwie zusammenhängen, aber dann doch im Detail etwas anderes darstellen. Man muss offen sein. Man muss sagen: „Das Lernen geht weiter!“ Die Lernkurven sind ansteigend, auch beim Älterwerden. Es ist auch positiv, wenn es dabei eine institutionelle Begleitung gibt, sprich „lebensbegleitendes Lernen“.

© Benjamin Thomes

Darius Pidun
Kritisch nachgefragt bei diesem Punkt, ich beschäftige mich gerade sehr mit diesem Thema, rede viel mit Leuten, die ihr Lehramtsstudium abgeschlossen haben, und bald in den Lehrerberuf starten. Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke: Ist es nicht teilweise sehr darauf ausgerichtet, ganz viel Wissen zu konservieren, um dann fünf, sechs Jahre später festzustellen, dass nicht mehr viel Wissen da ist? Ist nicht gerade das auch ein inhaltliches Problem der österreichischen Bildungsmaschinerie?
Heinz Faßmann
Ja und nein. Manchmal gibt es eine starke Fokussierung auf das Wissen, aber man muss auch die Offenheit sich selbst gegenüber haben, dass dieses Wissen, das heute vermittelt wird, in fünf Jahren entweder nicht mehr gültig ist oder vergessen wurde. Den Wissenserwerb könnten Sie auch mit einem Training vergleichen. Ich trainiere, um schneller zu laufen oder geschickter die Turnübungen zu absolvieren. Lernen heißt auch Trainieren, denn Lernen kann man lernen. Und beim nächsten Wissenserwerb bin ich vielleicht schneller und geschickter.
Darius Pidun
Lernen zu lernen geht ein Stück weit auf Humboldt zurück. Was kann bzw. was muss auf der praktischen Ebene getan werden, um inhaltlich die Bildung dahingehend auszurichten, dass gelernt wird, zu lernen, dass Leute ein analytisches Verständnis von dem Wissen, das sie sich angeeignet haben, bekommen?
Heinz Faßmann
Wissensinhalte sind natürlich Bestandteile des Lernprozesses. Das ist klar, denn sonst wird das Lernen hohl. Es muss einen bestimmten Inhalt haben. Drüber hinaus sollte man auch reflektieren, dass es generelle Skills gibt. Analytisches Denken, wie Sie gesagt haben, würde ich zu diesen generellen Skills zählen. Kommunikationsfähigkeit oder Teamfähigkeit wären andere Skills. Skills sind gleichsam Nebenprodukte des Lernens und gleichzeitig zentrale Fähigkeiten der Auszubildenden.
Gerade die Frage der digitalen Welt ist derzeit in den Lehrplänen nicht verankert. Das kommt höchstens als Add-on hinzu, hat aber immer einen Grad von Unverbindlichkeit.Heinz Faßmann über die Aktualität des österreichischen Lehrplans
Darius Pidun
Ich erinnere mich an das letzte Jahr: Es wurde viel über Schulautonomie in Österreich diskutiert. Seitdem Sie das Amt übernommen haben, gibt es einige Dinge wie die Unifinanzierung, Deutschförderklassen – ich würde sagen: vorwiegend strukturelle Aspekte. Ohne die jetzt irgendwie partout kritisieren zu wollen, gibt es ganz gezielte Punkte auf inhaltlicher Bildungsebene, die Sie in der Zukunft auf die Agenda bringen möchten?
Heinz Faßmann
Jetzt ist die Frage, was „ganz spezifische Bildungspunkte“ sind. Was wir uns vorgenommen haben für die nächste Zeit, ist folgendes: Wir müssen uns mit den Lehrplänen auseinandersetzen. Denn kritischer Impetus ist wirklich notwendig: Welche Aspekte können wir aus den derzeitigen Lehrplänen herausnehmen? Welche Aspekte müssen hinein? Gerade die Frage der digitalen Welt ist derzeit in den Lehrplänen nicht verankert. Das kommt höchstens als Add-on hinzu, hat aber immer einen Grad von Unverbindlichkeit. Also Lehrpläne und die von uns geplante Lehrplanreform sind etwas ganz Wichtiges, damit wir auch die Bildungsinhalte zeitgemäß verpacken können. Der Rest ist eher nur wieder eine Strukturfrage – die Schnittstellenproblematik, und damit eine an den Interessen und Talenten ausgerichtete Bildungswahl von Kindern und Jugendlichen, wollen wir lösen. Wir wollen die Noten systematisieren und die NMS leistungsorientierter gestalten. Uns wird die Arbeit sicherlich nicht so schnell ausgehen.
Darius Pidun
Ich spreche diese inhaltliche Ebene auch ein bisschen an. Sie haben es gerade ein wenig angedeutet. Es gibt auch Skills, die für die Jugend von heute immer wichtiger werden, um in der zukünftigen Arbeitswelt und generell in der Gesellschaft ihren Platz zu finden. Wenn ich mich mit Leuten des Faches unterhalte, läuft es letztlich immer darauf hinaus, dass die eigentliche Qualität eines Schulsystems mit der Qualität des Lehrpersonals steht und fällt. Warum hört man über genau diese Thematik in der österreichischen Debatte, aber auch in den letzten sechs Monaten, verhältnismäßig wenig?
Heinz Faßmann
Naja … (überlegt)
Darius Pidun
… ich kann mich schon daran erinnern, dass Sie gesagt haben, dass es auch darum geht, das Leben für Lehrkräfte zu optimieren, ihnen mehr Möglichkeiten zu geben. Aber im Gesamtverhältnis: Finden Sie nicht, dass darüber noch viel mehr diskutiert gehört?
Heinz Faßmann
Naja, es kann diskutiert werden, aber die Frage ist: Was würde es bringen, wenn der Minister sagt: „Liebe Lehrer, seid motiviert! Seid charismatisch! Bringt Freude am Lernen in das Klassenzimmer!“? (Pidun lacht) Das wäre zu trivial.

© Benjamin Thomes

Darius Pidun
Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mich da richtig verstanden haben. Ich möchte jetzt nicht sagen, dass es unmittelbar darum geht, den Bestand an Lehrkräften in der Republik zu motivieren, aber es geht ja auch darum, welche Art von Lehrkräften man in der Zukunft ausbildet. Es gibt ja einige Gesellschaftsentwicklungen. Sie sprechen relativ häufig den demographischen Wandel, den Zuzug aus bestimmten Gebieten, sprich Integrationsfragen, die Digitalisierung an. All diese gesellschaftlichen Aspekte bringen doch in einem ganz hohen Maß auch ein neues Anforderungsprofil für die Lehrkräfte von morgen mit sich. Insofern müssen wir vielleicht in die Richtung mehr darüber diskutieren, wie wir Lehrkräfte ausbilden.
Heinz Faßmann
Ja, alles korrekt. Wir brauchen fachlich und didaktisch gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, die begeistern und zeitgleich Inhalte und Kompetenzen vermitteln können. Die Politik kann unterstützen, Wertschätzung entgegenbringen und den Lehrerinnen und Lehrern das Leben leichter machen. Das ist nicht mit dem großen Paukenschlag zu erreichen, aber wir müssen dennoch darauf achten und durch weniger Vorschriften das Lehrerleben, wie gesagt, leichter machen. Zu Ihrer Frage: Ich stimme Ihnen vollkommen zu. Wir müssen uns Überlegungen machen und die Lehrerausbildung verbessern, um genau diese charismatische Hin- und Zuwendung zu den Schülerinnen und Schülern zu erreichen. Die neue Pädagoginnenausbildung in den Universitäten zusammen mit den Pädagogischen Hochschulen kann dazu einen Beitrag leisten.
Darius Pidun
Lassen Sie mich vielleicht zum Schluss noch eine Frage stellen: In der Vergangenheit habe ich Sie in einer Diskussion live miterlebt …
Heinz Faßmann
Ich erinnere mich!
Gerade bei heiklen Fragen betreffend Staat und Religion, würde ich lieber sehen, wenn in den religiösen Gemeinschaften ein Aufklärungsprozess beginnt und nicht hier vom Minoritenplatz aus verordnet wird.Heinz Faßmann über die gesellschaftliche Weiterentwicklung
Darius Pidun
Da ging es um eine konkrete Sachfrage. Und da haben Sie gesagt, Sie fänden es nicht immer primär wichtig, dass man jetzt direkt irgendwelche Vorstellungen politisch umsetzt, sondern Sie fänden es essentiell, dass man über gewisse Themen sachlich in der Öffentlichkeit diskutiert. Jetzt gerade, in Ihrer neuen Funktion als Bildungsminister, sind Sie inwiefern auf eine Öffentlichkeit, in der es einen sachbezogenen inhaltlichen Diskurs gibt, angewiesen?
Heinz Faßmann
Ja, ich bin weiterhin sehr darauf angewiesen. Natürlich nimmt man als Politiker eine andere Rolle ein als ein Wissenschaftler. Und als Politiker stößt man natürlich bei diesem sachpolitischen Diskurs sehr viel stärker auf Skepsis. Denn wenn Argumente von einem Politiker der Partei A vertreten werden, muss der Politiker der oppositionellen Partei B dagegen sein. Das bedauere ich, weil man sich damit selbst den Blick für das Wesentliche oft verstellt. Das ist aber ein Teil des politischen Spiels und des Wettbewerbs um Aufmerksamkeit.
Darius Pidun
Ich persönlich bin, was Ihre Person angeht, überrascht, dass man Ihnen verhältnismäßig wenig Frontalopposition entgegenbringt. Überrascht Sie das vielleicht auch ein Stück weit?
Heinz Faßmann
Ja, aber vielleicht ist Frontalopposition bei einem liberal denkenden Parteifreien, der sich auch nicht so leicht provozieren lässt, auch nicht so leicht anzubringen. Und so wie man in den Wald hineinruft, so hat man auch das Echo zu ertragen. Und ich rufe weder derb noch parteigefärbt in den Wald hinein. Schließlich will ich gesellschaftliche Weiterentwicklung nicht nur durch Gesetze, Normen oder Strafen, sondern durch Aufklärung. Gerade bei heiklen Fragen betreffend Staat und Religion, würde ich lieber sehen, wenn in den religiösen Gemeinschaften ein Aufklärungsprozess beginnt und nicht hier vom Minoritenplatz (Standort des Bildungsministeriums; Anm.) aus verordnet wird.

© Benjamin Thomes

Darius Pidun
Sie sehen sich also ein Stück weit in der Rolle, eine gewisse Diskussion anstoßen zu wollen, die dann auch im zivilgesellschaftlichen Prozess aufgenommen wird?
Heinz Faßmann
Ich wäre sehr froh darüber, wenn das auch so funktioniert.
Darius Pidun
Ich höre heraus, dass Sie noch nicht mit der Art des öffentlichen Diskurses zufrieden sind, was komplexe Sachfragen betrifft. Oder betrifft das die Debattenkultur an sich?
Heinz Faßmann
Die Qualität des Diskurses über komplexe Sachfragen könnte in der Tat besser sein. Manchmal dominiert das politisch Korrekte, manchmal wird Diskussionsverweigerung betrieben. Gerade die schwierigen Debatten über die Rolle der Religion, insbesondere des Islams in der Schule und im säkularen Staat, sollte offener und perspektivischer geführt werden. In diesem Bereich würde ich mir mehr erwarten.