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Gespräch N° 26 | Kultur

Maximilian Zirkowitsch

„Die meisten Satiriker sind sehr schlechte Politiker“

Wofür ist Satire zuständig? Für Unterhaltung? Information? Oder gar für die Gesetzgebung? Wir trafen Maximilian Zirkowitsch, jenen Polit-Satiriker, der sich im vergangenen Wien-Wahlkampf als „Bezirkowitsch“ einen Namen machte. Über Zuckerwatte, die Zähne pflegt, witzige Filme über den Holocaust und wie es ist, Robin Hood gegen Gott zu spielen.
Dieses Gespräch führte Muamer Bećirović und erschien am 14. November 2016, fotografiert hat Julius Hirtzberger.
Muamer Bećirović
Maximilian, du bist Politik-Satiriker. Davon gibt es mittlerweile eine ganze Menge. Kann es sein, dass die meisten davon links der Mitte sind? Wenn ich etwa an Volker Pispers denke …
Maximilian Zirkowitsch
Ich glaube, Volker Pispers (deutscher Kabarettist, *1958; Anm.) ist sogar deklariertes Mitglied der Partei „Die Linke“. Auf der anderen Seite gibt es Menschen wie Beppe Grillo und seine „Fünf-Sterne-Bewegung“ in Italien. Die fährt einen ganz klar rechtspopulistischen Kurs. Das würde ich nicht als links bezeichnen.
Muamer Bećirović
Und wenn man das Gesamtbild betrachtet? Ist Politiksatire öfters links als rechts?
Maximilian Zirkowitsch
Das mag schon stimmen. Ich glaube, dass das letztlich damit zu tun hat, dass Satire etwas ist, das von unten nach oben funktioniert. Und wenn man davon ausgeht, dass maßgebliche gesellschaftliche Diskurse eher rechtslastig bzw. von rechts dominiert sind, dann ist es für Rechte schwer, darüber aus einer kritischen Distanz oder einem kritisch-solidarischen Verhältnis heraus Witze zu machen.
Muamer Bećirović
Kannst du mir ein Beispiel nennen?
Maximilian Zirkowitsch
Natürlich: Wenn ich sage, dass das österreichische Fremden- und Asylrecht in seiner Gesamtheit rassistisch, also per se rechts ist, dann ist es schwierig, darüber aus einer rechten Position heraus noch Witze zu machen.
Muamer Bećirović
Ich kann mich aber auch über Asylanten lustig machen. Das muss ja nicht unbedingt heißen, dass …
Maximilian Zirkowitsch
Ja genau, das sind dann rassistische Witze. Ob rassistische Witze Satire sind?
Muamer Bećirović
Können sie das nicht sein?
Maximilian Zirkowitsch
Ich versuche, sie zu vermeiden.
Muamer Bećirović
Wieso?
Maximilian Zirkowitsch
Da braucht es eine gewisse Position, eine gewisse Verbundenheit mit den Deklassierten. Das funktioniert einfach viel besser.
Aber die Fähigkeit, Kritik zu üben, ist zumindest eine Voraussetzung, um links zu sein. Das ist beim Rechts-Sein nicht so. Fürs Rechts-Sein muss man nicht kritisch sein.Maximilian Zirkowitsch über die Rolle von Kritik in der Politik
Muamer Bećirović
Aber würdest du dich selbst als Linker bezeichnen?
Maximilian Zirkowitsch
Ja.
Muamer Bećirović
Ja?
Maximilian Zirkowitsch
Grundsätzlich ist es so, dass sich Satire schon an gesellschaftlichen Verhältnissen abarbeitet und dazu eine kritische Position einnimmt. Ich denke zum Beispiel an Gullivers Reisen – achtzehntes Jahrhundert. Das würde ich schon als eine fortschrittliche oder progressive Kritik bezeichnen, die da geübt wurde. Und das funktioniert eben, weil man selbst in einer machtlosen Position ist, oder sich zumindest solidarisch mit Leuten, die wenig Einfluss haben, versteht.
Muamer Bećirović
Heißt das, jede Art von progressiver Kritik ist per se links?
Maximilian Zirkowitsch
Nein, nicht grundsätzlich. Aber die Fähigkeit, Kritik zu üben, ist zumindest eine Voraussetzung, um links zu sein. Das ist beim Rechts-Sein nicht so. Fürs Rechts-Sein muss man nicht kritisch sein.
Maximilian Zirkowitsch

© Julius Hirtzberger

Muamer Bećirović
Macht es nicht das Rechts-Sein aus, kritisch gegenüber Fremdem, anderen neuen Sachen zu sein?
Maximilian Zirkowitsch
Nein, da macht man es sich zu einfach. Es ist stets eine Frage des eigenen Standpunktes. Standpunkte können sehr unterschiedlich sein. Weicht dann etwas von meiner eigenen Ansicht ab, bin ich dem gegenüber selbstverständlich kritisch eingestellt. Genau in diesem Moment habe ich einen kritischen Zugang, in dem ich die bestehende Situation einer Würdigung unterziehe und zum Entschluss komme, dass Veränderungsbedarf besteht.
Muamer Bećirović
Nur, dass Satiriker Wirklichkeit und Ideal so dermaßen simplifizieren und zur maßlosen Übertreibung neigen. Bei Volker Pispers ist es zum Beispiel der Fall. Nähme ich seine Worte für bare Münze, müsste ich denken, Frau Merkel wäre eine Turbokapitalistin. Inwiefern hat das noch mit Kritik zu tun? Darf eigentlich Satire so weit gehen, dass Fakten verfälscht und verdreht werden?
Maximilian Zirkowitsch
Du hast jetzt von „Wirklichkeit und Ideal“ gesprochen. Es gibt von Kurt Tucholsky (deutscher Schriftsteller, 1890–1935; Anm.) einen Text, der genauso heißt. Und Tocholsky schreibt, dass die Satire sich grundsätzlich immer nur an der Wahrheit abarbeitet.
Muamer Bećirović
Gibt es „die Wahrheit“, oder liegt das im subjektiven Ermessen?
Maximilian Zirkowitsch
Tucholsky ist sicher ein Kind seiner Zeit und geht davon aus, dass es einen Wahrheitsbegriff gibt. Da wird er schon ein bisschen materialistisch geprägt gewesen sein. Ob die Wahrheit subjektiv ist oder nicht, ist ein Schulenstreit.
Muamer Bećirović
Was glaubst du?
Maximilian Zirkowitsch
Ich bin mir da auch nicht sicher. Ich glaube schon, dass es Wahrheit gibt, die menschlich erfasst werden kann.
Muamer Bećirović
Ja, das sehe ich auch so.
Maximilian Zirkowitsch
Die ist nicht immer banal.
Muamer Bećirović
Das stimmt.
Maximilian Zirkowitsch
Und wenn es eine Wahrheit gibt – und ich versuche, mich daran abzuarbeiten, wenn ich versuche, verschleierte Verhältnisse aufzudecken und offenzulegen, dann …
Muamer Bećirović
werde ich Journalist.
Maximilian Zirkowitsch
… oder Satiriker. Die meisten Satiriker sind sehr schlechte Politiker. Obwohl – die Partei „Die PARTEI“ sitzt im europäischen Parlament und in einigen Gemeinderäten und Stadträten …
Muamer Bećirović
Stimmt. Aber die Frage ist, wofür diese Satiriker zuständig sind: für Unterhaltung, für Information oder Gesetzgebung?
Maximilian Zirkowitsch
(lacht) Ich würde Satire schon eher als Kunstform einordnen. Da zähle ich den Journalismus nicht unbedingt dazu. Satire lässt sich ja medial vielfach betreiben. Ob ich das im Radio, im Fernsehen, in der Literatur mache, ob ich nun Gedichte schreibe – da gibt es ja sehr viele Ausdrucksmöglichkeiten. Man hat schon einen gewissen Aufschwung der politischen Satire in der Aufklärung und nach der französischen Revolution gemerkt. Im revolutionären Paris und im revolutionären Frankreich sind an die 20 bis 30 Kirchen- und religionskritische satirische Magazine, vollgepackt mit Karikaturen und irgendwelchen Schmähschriften erschienen.
Muamer Bećirović
Ist das okay?
Maximilian Zirkowitsch
Natürlich.
Muamer Bećirović
Wirklich?
Maximilian Zirkowitsch
Natürlich, Satire darf alles.
Muamer Bećirović
Darf sie auch Witze über den Holocaust machen?
Maximilian Zirkowitsch
Ja, natürlich.
Maximilian Zirkowitsch

© Julius Hirtzberger

Muamer Bećirović
Ich habe Satire immer so verstanden, dass sie sich gegen „die Großen“ richtet. Als Satiriker ist man Robin Hood: Man gibt den Schwachen eine Stimme gegen die Starken. Aber wenn ich mich über den Holocaust lustig mache, was bleibt dann von diesem Gedanken?
Maximilian Zirkowitsch
Ich sollte mich nicht darüber lustig machen, dass der Holocaust stattgefunden hat. Aber ich kann mich sehr wohl darüber lustig machen, wie damit umgegangen wird. Ich kann ja auch Witze über Armut machen, muss aber keine Witze über Arme machen. Das ist verachtenswert – einen Bettler zu verspotten, beispielsweise. Das tun Menschen, die einfach keine guten Menschen sind. Aber grundsätzlich kann ich jedes Thema satirisch bearbeiten –auch den Holocaust. Das passiert ja auch.
Muamer Bećirović
Wenn man beispielsweise über eine Religion Witze macht, also über ein Gut, dass vielen Menschen enorm wichtig ist, gegen wen wendet sich diese Kritik dann? Spielt man etwa Robin Hood gegen Gott?
Maximilian Zirkowitsch
Naja, die Aufklärung war schon ein sehr antireligiöses Ding. Das wird halt gerne vergessen. Und Kritik an der Aufklärung wird sowieso ganz ausgelassen. Grundsätzlich finde ich, dass sich in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft jeder Kritik gefallen lassen muss. Daher gibt es natürlich auch Holocaust-Komödien.
Muamer Bećirović
Die Frage ist: Sind sie legitim? Passiert das im Rahmen der freien Meinungsäußerung?
Maximilian Zirkowitsch
Es gibt wahnsinnig witzige Filme über den Holocaust.
Muamer Bećirović
Wie du gerade gesagt hast: Man spuckt nicht auf einen Obdachlosen. Und kann man wirklich alles unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung sagen? Haben Worte nicht immer Konsequenzen?
Maximilian Zirkowitsch
Worte haben schon Konsequenzen. Ich glaube, wenn ich Witze über einen Obdachlosen mache, oder generell Obdachlose verspotte, dann mag das zwar witzig sein – aber das ist sicherlich keine Satire.
Muamer Bećirović
Wieso nicht?
Maximilian Zirkowitsch
Weil es keinen Wahrheitsgewinn hat. Es ist keine Kunst, einen Standpunkt zu beziehen, mich von einem Obdachlosen abzugrenzen und zu sagen „Ich bin besser“. Das ist beileibe nicht schwierig. Spott ist halt eine grausliche Form des Umgangs miteinander.
Muamer Bećirović
Aber er gehört dazu.
Maximilian Zirkowitsch
Nicht notwendigerweise.
Muamer Bećirović
Kann Spott auch ein Stilmittel sein?
Maximilian Zirkowitsch
Ja, klar. Aber es ist nicht so schön. Man muss anerkennen, dass es gute und schlechte Satire gib – so wie es für alles in der Welt gute und schlechte Ausführungen gibt. Ich kann nicht zu allem, das mir gar nicht gefällt, sagen: „Das ist keine Satire!“ Nein, ich muss schon sagen: „Satire ja, aber gut finde ich das nicht.“ Und da wird es auch objektive Kriterien geben. Man sagt ja auch nicht bei Büchern „Naja, die Qualität eines Romans ist individuell“. Es gibt schon gewisse, anerkannte Richtlinien und Grundlagen, aufgrund derer ich beurteilen kann, ob das jetzt gute oder schlechte Literatur ist. Ähnlich ist es mit der Satire – sofern wir die Satire als Kunstform anerkennen.
Muamer Bećirović
Ein Gedankenspiel, das nicht meine Meinung widerspiegelt: Aber machst du es dir da nicht zu einfach? Vielleicht kritisiere ich den Obdachlosen ja tatsächlich. Zum Beispiel, dass er seinen Arsch nicht hochkriegt. Ihr, also Politiksatiriker, schreibt dem Obdachlosen die Schwäche zu, nicht selbst aktiv werden zu können. Vielleicht hat er aber auch eine Stärke, die er nur nicht genutzt hat.
Maximilian Zirkowitsch
Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr. Der Vorwurf, Obdachlose wären selbst für ihr Schicksal verantwortlich, weil sie ihr Potential nicht ausgeschöpft haben, ist einfach gehässig. Vor allem, wenn man selbst in einer besseren Lage ist. Ich weiß nicht, ob du schon einmal zu einem Bettler auf der Straße gesagt hast: „Tut mir leid, ich hab’ kein Geld, aber ich helfe dir gerne, deinen Lebenslauf zu überarbeiten!“ Würdest du dich das trauen?
Muamer Bećirović
Gute Frage, aber muss ich mich als Politiksatiriker nun zwingend als Robin Hood der Gesellschaftspolitik, als Anwalt der Armen, aufspielen?
Maximilian Zirkowitsch
Ich habe den Anspruch nicht. Ich sehe auch bei vielen Kabarettistinnen und Kabarettisten nicht den Anspruch. Na gut, der Robert Düringer ist halt ein bisschen verrückt geworden. Der glaubt wirklich, dass er die Welt rettet.
Muamer Bećirović
Was ich kritisiere, ist, dass Gesellschaftskritik gerade stirbt, während die Politsatire im Aufmarsch ist. Man kritisiert die Politik maßgeblich, aber Gesellschaftskritik oder gesellschaftskritische Satire, wie sie zur Zeit der Aufklärung stattgefunden hat, ist stark zurückgegangen.
Maximilian Zirkowitsch
Lustig. Ich würde das eher andersrum sehen: Ich würde eher sagen, dass die politische Satire abnimmt und die Auseinandersetzung mit sozialen Phänomenen eher zunimmt.
Muamer Bećirović
Wirklich? Das Gefühl habe ich überhaupt nicht. Jan Böhmermann (deutscher Satiriker; *1981; Anm.), Volker Pispers, und dieser Typ mit den langen Haaren und dem Zopf …
Maximilian Zirkowitsch
… der Hagen Rether (deutscher Kabarettist; *1969; Anm.)?
Muamer Bećirović
Genau.
Maximilian Zirkowitsch
Ich habe den Eindruck, dass die explizite Politiksatire am Rückzug ist, und dass das Kabarett sich zunehmend mit gesellschaftlichen Phänomenen abarbeitet. Wobei man sagen muss, dass die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft natürlich immer politisch ist. Es macht halt wenig Sinn, sich an Parteien und Funktionären abzuarbeiten, wenn diese Institutionen zunehmend an Einfluss und Respekt verlieren. Früher war es witzig, über den Kanzler Witze zu machen. Jetzt gehen die Leute zu ihm auf der Straße, wenn sie ihn sehen, klopfen ihm auf die Schulter, duzen ihn und fragen ihn nach einem Selfie. Und er macht es. Das ist schon etwas Anderes.
Muamer Bećirović
Sollen Satiriker nun unterhalten oder informieren?
Maximilian Zirkowitsch
Ich bin mir nicht sicher, ob Satiriker oder Satirikerinnen überhaupt einen gesellschaftlichen Auftrag haben. Mitunter ist es reine Psychohygiene, mitunter ist es einfach nur eine Form der Auseinandersetzung. Dass ich gerne vor anderen stehe und ihnen etwas erzähle, das ist eher eine Frage der Eitelkeit. Vielleicht bin ich einfach nur eitel.
Muamer Bećirović
Wie ist das zu verstehen?
Maximilian Zirkowitsch
Es ist Zufall, dass bei mir ein gewisses politisches Interesse und Eitelkeit zusammentreffen. Und dass ich wirklich unfassbar lustig bin. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ich eine Bühne dafür bekam. Allgemein ist es aber so, dass Satiriker keinen Informationsauftrag haben, da die Satire eine Kunstform ist – Kunst ist total undemokratisch. Kunst ist autoritär. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen darüber, worüber ich Witze mache, welche Themen ich mir aussuche, worüber ich mein nächstes Buch schreibe. Das mache ich nicht davon abhängig, wie andere das sehen. Das interessiert mich überhaupt nicht.
Muamer Bećirović
Hat sich die Satire also vom Robin-Hood-Gedanken weg und hin zur Bühne für antidemokratische Egomanen entwickelt?
Maximilian Zirkowitsch
Nicht zwangsläufig, aber zum Teil bestimmt. Moderne Satiriker sind zum Teil Gesellschaftskritiker, zum Teil politische Kritiker, zum Teil politische Aktivisten. Wobei ich anmerken muss, dass die Satire kein Egomane werden kann.
Muamer Bećirović
Oder einfach Klugscheißer.
Maximilian Zirkowitsch
Das gehört auch dazu. Aber ich glaube, das macht die Satire ja so interessant für viele Menschen – dass sehr komplexe Verhältnisse sehr kurz und knapp zusammengefasst werden können.
Muamer Bećirović
Ist das die Definition der modernen Satire?
Maximilian Zirkowitsch
Ich kann dir darauf keine Antwort geben, weil es keine einheitliche Definition für „die Satire“ gibt. Nun ja, Satire hilft, die Komplexität der Wirklichkeit zu erfassen. Aber was ihre Funktion oder ihr Nutzen ist – darauf habe ich keine Antwort. Ich suche sie schon lange – ich habe Beiträge in diversen Zeitschriften im In- und Ausland veröffentlicht. Im Herbst kommt das zehnte Buch, oder das zwölfte, an dem ich mitgeschrieben habe. Aber ich kann dir immer noch nicht sagen, was Satire ist. Das ist aber auch nicht so schlimm. Das halte ich aus.
Muamer Bećirović
Damit komme ich nicht klar.
Maximilian Zirkowitsch
Das macht mich ein bisschen traurig.
Maximilian Zirkowitsch

© Julius Hirtzberger

Muamer Bećirović
Mich macht traurig, dass Linke die Politsatire für sich zu beanspruchen scheinen. Fällt der Witz etwa weg, wenn man bisschen mehr in der Mitte, oder gar rechts der Mitte steht?
Maximilian Zirkowitsch
Du kannst diverse linke Satiriker fragen. Sie alle werden dir andere Satiriker nennen können, die politisch rechts von ihnen stehen. Oder auch links von ihnen. Die politische Linke ist ja keine homogene Gruppe, sondern ein breites Spektrum. Das trifft auf rechts auch zu. Zwischen Erhard Busek und Reinhold Lopatka liegen ja auch Welten, und trotzdem sind sie in der gleichen Partei. Ich weiß nicht, ob sie miteinander gemeinsam auf ein Bier gehen und danach sagen: „Ja, das war doch wieder ein netter Abend!“ Das kann ich mir schwer vorstellen. Aber ich kann mir auch sehr schwer vorstellen, wie ein netter Abend mit Reinhold Lopatka aussehen soll.
Muamer Bećirović
(kann sich vor Lachen nicht mehr halten)
Maximilian Zirkowitsch
Die Rechte in Österreich reicht halt von militanten Gewaltbereiten Neonazis bis zu den NEOS.
Muamer Bećirović
Die NEOS sind für dich schon rechts?
Maximilian Zirkowitsch
Das ist definitiv schon rechts. Rechts der Mitte auf jeden Fall. Oder dessen, was angeblich die Mitte ist.
Muamer Bećirović
Auch gesellschaftspolitisch?
Maximilian Zirkowitsch
Zum Teil ja, sicher. Ich würde grundsätzlich das Recht auf Privateigentum in Frage stellen. Das machen die NEOS nicht. Ich würde meinen, dass es genügend Anzeichen dafür gibt, dass sich aus Eigentum weder Verantwortung noch Freiheit ableiten.
Muamer Bećirović
Aber Unabhängigkeit.
Maximilian Zirkowitsch
Ja, Unabhängigkeit für jene, die besitzen.
Muamer Bećirović
Richtig.
Maximilian Zirkowitsch
Die Tatsache, dass man Menschen besitzen konnte, hat denen, die besessen wurden, in keinster Weise dabei geholfen, Freiheit, Gerechtigkeit oder Sicherheit zu erfahren. Zum Beispiel war John Locke, einer der großen Vordenker der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, Aktionär der größten Sklavenhandelsgesellschaft zu dieser Zeit. Seine Überlegungen baute er den Werten der Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit auf, aber dennoch war es für ihn kein Widerspruch, zu sagen: „I have liberty, property and pursuit of happiness – with slaves“ (engl. für „Ich habe Freiheit, Eigentum und das Streben nach Glück – samt Sklaven“; Anm.).
Muamer Bećirović
Andere Sitten, andere Zeiten.
Maximilian Zirkowitsch
Aber das sind doch die großen bürgerlichen Philosophen.
Muamer Bećirović
Das ist ein bisschen unfair.
Maximilian Zirkowitsch
Entschuldige!
Muamer Bećirović
So pervers es vielleicht auch klingen mag, aber die Geschichte hat einiges an Zeit gebraucht, damit wir heute sagen können: Alle sind an Rechten gleich! Diese Entwicklung hat die Menschheit bis auf das einzelne Individuum quantifizierbar gemacht. Von den anderen differenziert, kann ich mir – nach Lust und Kraft – etwas erarbeiten, das ob meiner Individualität mir gehört.
Maximilian Zirkowitsch
Wenn du dafür die gesellschaftlichen Voraussetzungen findest. Tatsache ist aber, dass der Staat, der diese Rechte manifestiert hat und die Einhaltung selbiger überwacht sowie durchsetzt, von Machtdifferenzen durchzogen ist. Es ist unbestreitbar, dass es in diesem Staat oder dieser Ordnung nicht möglich ist, dass jeder Mensch gleichermaßen teilnehmen, mitbestimmen und davon profitieren kann. Selbst in Österreich, einem Land, in dem es verhältnismäßig viel Gleichheit in gewissen Belangen gibt, lassen sich genug Menschen finden, denen per Gesetz verwehrt wird, hier zu arbeiten, denen es untersagt ist, Zugang zu bestimmten Gütern, Ressourcen und Dienstleistungen zu haben. Das Amüsante ist aber, dass das derselbe Staat ist, der sich den Menschenrechten derart verpflichtet fühlt, dass er sie in seine Verfassung hineingeschrieben hat.
Muamer Bećirović
Ich glaube nicht, dass was der Staat vorgibt, unbedingt richtig ist. Noch nie zuvor waren so viele Menschen auf der Flucht, wie heute. Die legitime Frage dazu lautet dann, ob es überhaupt noch meine Pflicht als Staat sein kann, alle aufzunehmen, selbst wenn die Zahl derer meine eigene Bevölkerung um ein Vielfaches übersteigt?
Maximilian Zirkowitsch
Die Nachbarländer von Syrien haben das getan.
Muamer Bećirović
An diesem Punkt muss ich die Satiriker in die Pflicht nehmen. Ich glaube, dass die alleinige Kritik an der Politik nicht reicht und Gesellschaftskritik viel lauter vertreten werden muss. Die Wahrheit ist, dass die Mehrheit der Gesellschaft sich gegen diesen Zustrom an Flüchtlingen stellt.
Maximilian Zirkowitsch
Das sehe ich nicht so.
Muamer Bećirović
Also wenn du das nicht so siehst, dann warst du noch nie auf den Straßen oder scheinen sich nur in deinem Kreis bewegt zu haben. Wenn du wirklich mit den „einfachen“ Leuten sprichst, die die Mehrheit in diesem Land stellen, dann wirst du erkennen, dass dieses Verständnis kaum mehrheitsfähig ist.
Maximilian Zirkowitsch
Diese Frage ist allerdings auch sehr theoretisch, die insinuiert, dass es möglich ist, dass Österreich plötzlich von 20 Millionen Syrern überrannt wird. Tatsache ist, dass nicht sehr viele nach Österreich kommen. Gemessen an unserem Wohlstand, ist das eine lächerlich kleine Zahl.
Muamer Bećirović
Keine Frage.
Maximilian Zirkowitsch
Gemessen an unserer Bevölkerungszahl ist die Zahl der bisher aufgenommenen Flüchtlinge sehr gering.
Muamer Bećirović
Ich mag deine Robin-Hood-Einstellung an dir, muss ich sagen.
Maximilian Zirkowitsch
Lass’ mich das noch fertig ausführen. Wenn ich Menschen frage: Findest du es richtig, 20 Millionen – sofern diese überhaupt gibt – aufzunehmen? Die Leute werden dann ein bisschen Angst haben und sich fragen, ob das möglich wäre. Deswegen ist diese Frage unseriös, weil sie sich nicht umsetzen lässt. Wäre es möglich, wären diese 20 Millionen schon längst gekommen. Es gibt  60 Millionen Flüchtlinge, von denen letztes Jahr 1 Million nach Europa gegangen ist. Das ist ein verschwindend geringer Anteil – verglichen mit unserem Wohlstand.
Muamer Bećirović
Keine Frage.
Maximilian Zirkowitsch

© Julius Hirtzberger

Maximilian Zirkowitsch
Österreich hat letztes Jahr viele Flüchtlinge versorgt. Es sind nicht alle geblieben, sondern nur ein kleiner Teil. 1956, 1968, Ende der 80er, Anfang der 90er wurden bedeutend mehr Menschen aufgenommen und das wurde bewerkstelligt.
Muamer Bećirović
Aber da hatten wir …
Maximilian Zirkowitsch
Weniger Geld meinst du?
Muamer Bećirović
Ja, weniger Geld zu teilen. Anscheinend ist eine Gesellschaft umso weniger bereit, etwas herzugeben, je wohlhabender sie wird.
Maximilian Zirkowitsch
Grundsätzlich ist das Recht auf Asyl und Schutz gegen Verfolgung ein sehr altes Institut, das es schon immer gegeben hat. Du kannst es in vielen Quellen quer durch die Geschichte finden. Dieses Recht ist sehr archaisch und so zu tun, als wäre es nicht permanent in unserer Gesellschaft präsent gewesen, ist schlichtweg naiv. Selbst die Bibel ist als Buch von Flüchtlingen für Flüchtlinge ein Abbild dessen. In Wahrheit geht es um Verfolgung, Vertreibung und das Leben im Exil.
Muamer Bećirović
Ich stimme dir zu: Europa könnte – am Wohlstand gemessen – viele Flüchtlinge aufnehmen. Was du nicht einkalkulierst ist, ob die Menschen das wollen und sie wollen nicht.
Und Menschenrechte sind nicht dazu gemacht, um über sie zu verhandeln. Selbst wenn 98 Prozent gegen Asylsuchende sind, kann man dieses Recht nicht verleugnen. Genauso wird sich nichts an der Schwerkraft ändern, nur weil 98 Prozent sie ablehnen.Maximilian Zirkowitsch über den Umgang mit Asylwerbern
Maximilian Zirkowitsch
Ich halte es nicht für wünschenswert, wenn 30 Millionen Menschen fliehen müssen. Das ist der Punkt. Es geht nicht darum, wie viele Flüchtlinge versorgt werden können, sondern es geht darum, dafür zu sorgen, dass es nicht mehr so viele Flüchtlinge gibt. Es geht darum, dafür zu sorgen, dass Menschen dieses Recht nicht verwehrt wird. Asyl ist ein Menschenrecht. Und Menschenrechte sind nicht dazu gemacht, um über sie zu verhandeln. Selbst wenn 98 Prozent gegen Asylsuchende sind, kann man dieses Recht nicht verleugnen. Genauso wird sich nichts an der Schwerkraft ändern, nur weil 98 Prozent sie ablehnen. Menschenrechte stehen nicht zur Disposition. Minderheitenrechte stehen nicht zur Disposition. Minderheitenrechte werden nicht von einer Mehrheit bestimmt.
Muamer Bećirović
Was macht dich so sicher?
Maximilian Zirkowitsch
Möchtest du ernsthaft, dass die Mehrheit über die Köpfe und Rechte von Minderheiten hinweg entscheiden kann? Das ist nicht das Prinzip der Demokratie.
Muamer Bećirović
Ist es nicht Demokratie?
Maximilian Zirkowitsch
Nein, ist es überhaupt nicht. Demokratie heißt, dass auch die kleinste Minderheit das Recht hat, zu sagen, was sie will. Ihre Meinung muss in jeden Prozess einfließen. Sie muss repräsentiert sein, mitbestimmen können. Das bedeutet Demokratie. Demokratie heißt, dass du mir so lange zuhören musst, bis ich fertig bin und danach musst du alles, was ich gesagt habe, abwägen und in deine Entscheidung einfließen lassen, nur weil ich es gesagt habe. Darum geht es.
Muamer Bećirović
Nein, nein! Da machst du es dir zu einfach.
Maximilian Zirkowitsch
Das sagst du die ganze Zeit.
Muamer Bećirović
Ja, du machst es dir zu einfach. Man sagt doch, in einer Demokratie geht die Macht vom Volk aus. Ein erneutes Gedankenspiel: Wie kann es dann sein, dass die Mehrheit dieses Volkes nicht darüber entscheiden kann, was ein Menschenrecht ist und was nicht?
Maximilian Zirkowitsch
Menschenrechte sind kein Mehrheitsentschluss. Menschenrechte werden nicht durch einen einfachen Mehrheitsbeschluss begründet. Das ist nicht der Gedanke hinter den Menschenrechten. Die Menschenrechte sind ein naturrechtlicher Gedanke, der nicht zur Disposition steht. Du kannst ja ebenso wenig die Mehrheit darüber abstimmen lassen, ob die Demokratie nun abgeschafft werden soll oder nicht. Das wäre dann auch ein Widerspruch.
Muamer Bećirović
Mit den nötigen Quoren ginge das. Das würden viele anders sehen.
Maximilian Zirkowitsch
Ja, davon bin ich überzeugt. Es gibt ja auch Leute, die meinen, dass die FPÖ eine demokratische Partei sei, obwohl deren Vorsitzender in der Vergangenheit bedenkliche Wehrsportübungen mit Neonazis unternommen hat, unzählige Mitglieder in erschreckender Regelmäßigkeit Probleme mit dem Waffen-, Verbots- und Strafgesetz haben. Die FPÖ ist eine Partei, in der der Bundesvorsitzende Durchgriffsrechte hat, mit denen er im Alleingang Landesparteivorstände entlassen kann. Die FPÖ ist eine Partei, deren Parteiprogramm von der Parteizentrale und nicht basisdemokratisch von Delegierten am Parteitag beschlossen wurde. Die FPÖ aus einem Sammelbecken für Faschisten, Demokratiegegner, Menschengegner, Frauengegner und Minderheitengegner entstanden. Und nur weil sie im Parlament sitzt, heißt das noch lange nicht, dass sie auch demokratisch ist.
Muamer Bećirović
Wenn morgen demokratisch gewählt wird …
Maximilian Zirkowitsch
Wir wissen ja eh alle, was die FPÖ von demokratischen Wahlergebnissen hält, die ihr nicht passen. Deswegen geht’s ja mit Ach und Krach am 4. Dezember nochmals an die Wahlurnen (zur Wiederholung der Bundespräsidentenstichwahl 2016; Anm.).
Muamer Bećirović
Einmal rein hypothetisch gesprochen: Die FPÖ hat eine Zweidrittelmehrheit in Österreich erreicht. Wäre es dann demokratisch legitimiert, wenn sie die Menschenrechtskonvention ausschaltet, um – nehmen wir einmal an – Flüchtlinge abzuschieben?
Maximilian Zirkowitsch
Die Menschenrechtskonvention wird in der Türkei zum Beispiel gerade außer Kraft gesetzt. In Frankreich wird sie momentan auch teilweise ausgesetzt und der Notstand wurde bis 2017 verlängert – nicht weil irgendein Idiot mit einem LKW in eine Menschenmenge gefahren ist, sondern weil hunderttausende Menschen die Raffinerien mit einem der größten Streiks der französischen Geschichte lahmgelegt haben.
Muamer Bećirović
Das beantwortet die Frage nicht.
Maximilian Zirkowitsch
Nein, glaube ich nicht. Du fändest es wahrscheinlich auch nicht demokratisch, wenn eine Mehrheit plötzlich das Privateigentum oder das Privateigentum an Produktionsmittel abschaffen würde, weil du dann sagst, dass es ohne Freiheit keine Demokratie gäbe.
Muamer Bećirović
Ich sage, dass das dann kein freier Staat mehr wäre.
Maximilian Zirkowitsch
Gibt es Demokratie ohne Freiheit? Ich glaube nicht.
Muamer Bećirović
Stimmt wohl.
Maximilian Zirkowitsch
Nein, eine Mehrheit kann nie über Minderheiten hinweg entscheiden, weil es sonst keine Minderheiten gäbe. Wir haben in Österreich zum Beispiel die Religionsförderung. Diese kommt natürlich auch der katholischen Kirche zugute, aber vor allem unterstützt sie Minderheitenreligionen. Denn ohne diese öffentlichen Mittel wäre es nicht möglich für diese kleinen Gemeinschaften zu überleben. Wir haben einen Staat, der sich dazu verpflichtet hat, deren Existenz zu ermöglichen, damit auch Minderheiten ihren Glauben leben können. Das ist vernünftig.
Muamer Bećirović
Wenn die Mehrheit nun hergeht und sagt, dass sie diese Förderungen ablehne. Wäre das demokratisch legitim?
Maximilian Zirkowitsch
Ja, das würde ich schon sagen. Eine Demokratie lebt von unterschiedlichen Meinungen – nicht nur von einer. Es braucht unterschiedliche Meinungen, wobei Minderheit genauso das Recht haben, gehört zu werden. Alles andere halt ich für gefährlich und schädlich. Bloß weil jemand 90 Prozent der Stimmen hat, heißt das nicht …
Muamer Bećirović
Gehört ja, aber die Minderheit muss ja nicht zwingend bestimmen.
Maximilian Zirkowitsch
Sollte. Das Ganze sollte durchaus konsensual ablaufen. 85 Prozent der Gesetze in Österreich werden einstimmig beschlossen. Es wird nur über die berichtet, über die gestritten wird. Unterschiedliche Standpunkte lassen sich grundsätzlich überall finden. Man muss sich dann halt zusammenraufen und miteinander reden.
Muamer Bećirović
So wie ich dich bis jetzt verstanden habe, bist du der Ansicht, dass alle links der Mitte, die Guten sind und alle rechts davon, skeptisch zu beäugen sind.
Maximilian Zirkowitsch
Wirklich?! Moralischen Begriffen bin ich eigentlich aus dem Weg gegangen.  Nein, ich unterstelle Menschen – ungeachtet ihrer Weltanschauung – grundsätzlich nicht, dass sie böse sind. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass es den Menschen sehr schwer fallen würde, beispielsweise einen Bettler auszulachen oder ihn anzuspucken.
Maximilian Zirkowitsch

© Julius Hirtzberger

Muamer Bećirović
Das glaube ich ja auch.
Maximilian Zirkowitsch
Ich glaube, dass das kaum passiert. Der Mensch an sich ist schon gut.
Muamer Bećirović
Denkst du, dass der Mensch grundsätzlich gut ist?
Maximilian Zirkowitsch
Ja, davon bin ich schon überzeugt. Der Mensch ist okay.
Muamer Bećirović
Viele Philosophen sind sich zum Beispiel einig, dass …
Maximilian Zirkowitsch
Ein Satz, der so eingeleitet wird, ist immer gefährlich. „Die Philosophen sind sich einig.“ Alle. Immer.
Muamer Bećirović
Nein, so meine ich das gar nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg attestierten viele, dass der Mensch einen Hang zum Bösen hat.
Maximilian Zirkowitsch
Da würden dir sämtliche religiösen Philosophen widersprechen, denn wenn der Mensch als Gottesebenbild böse ist, das im Umkehrschluss bedeutet, dass Gott böse ist. Und das ist wirklich ein unbefriedigender Gedanke, wenn man ein gläubiger Mensch ist. Aber man darf nicht vergessen, dass die Menschheit natürlich furchtbare Erfahrungen gemacht hat. Menschen sind zu unglaublich grauslichen Dingen fähig. Menschen quälen Tiere. Menschen quälen Menschen. Menschen töten Menschen. Menschen ermorden Menschen. Menschen erfinden aber auch Zuckerwatte. Menschen erfinden aber auch Klimaanlagen. Menschen erfinden auch Medizin.
Menschen quälen Menschen. Menschen töten Menschen. Menschen ermorden Menschen. Menschen erfinden aber auch Zuckerwatte.Maximilian Zirkowitsch über die Natur des Menschen
Muamer Bećirović
Hast du dafür eine Antwort?
Maximilian Zirkowitsch
Ja, ich finde Klimaanlagen und Zuckerwatte wesentlich besser als Schusswaffen. Das ist grundsätzlich schon einmal eine Aussage, die sehr viele Menschen unterschreiben würden, denke ich. Natürlich ist Zuckerwatte in Unmengen ungesund und somit gefährlich. Irgendwann werden wir sicherlich auch einmal Zuckerwatte haben, die unsere Zähne pflegt. Ein schöner Gedanke, oder? In einer Gesellschaft, in der nicht unbedingt die Marktfähigkeit oder die Wertbarkeit als Ware im Vordergrund steht, könnte durchaus auch einmal eine Zuckerwatte entwickelt werden, die Zähne pflegt. Doch meist braucht man für derartig große Vorhaben viel Zeit. Die Mittel für derart lange Zeitspannen wird der Staat tendenziell eher zur Verfügung stellen können, als ein Privater, der dafür sorgen muss, dass sein Ergebnis binnen weniger Jahre marktfähig ist.
Muamer Bećirović
Ein Gedanke von mir ist, dass Menschen wie du, also Menschen, die eher links der Mitte anzusiedeln sind, sich gerne in eine Sphäre begeben, in der das moralisch-sozialethische Denken der selbstgefälligen Selbstbefriedigung dient und dabei verabsäumen, sich den Realitäten zu stellen.
Maximilian Zirkowitsch
Das ist in der Tat ein sehr häufiger Vorwurf. Es ist ja grundsätzlich nichts Neues, dass gesagt wird, dass die Linke in ihrer Sphäre selbstgefällig sei und von den Problemen und den Menschen da draußen wenig mitbekomme. Ich sehe das anders. Ich glaube, dass ich sehr viel mitbekomme – schon allein durch meine Tätigkeit als Sozialarbeiter. Ich glaube, dass ich sogar wesentlich mehr Ahnung von Armut habe. Ich weiß wesentlich mehr über jene Flüchtlinge, deren bloße Anwesenheit viele ablehnen. Ich glaube, dass ich das Leben sehr gut kenne. Ich komme mit vielen Leuten ins Gespräch. Ich habe auch keine Hemmungen mit Leuten ins Gespräch zu kommen.
Muamer Bećirović
Würdest du denn mit Heinz-Christian Strache sprechen?
Maximilian Zirkowitsch
In welchem Rahmen?
Muamer Bećirović
Persönlich.
Maximilian Zirkowitsch
Natürlich. Aber ich würde nicht an einer Podiumsdiskussion mit ihm teilnehmen und dabei so tun, als würden gerade zwei Meinungen völlig gleichberechtigt nebeneinander stehen. Mit jemandem, der mit Neonazis auf Wehrsportübungen war, möchte ich mich persönlich nicht gemeinsam auf ein Podium setzen. Ich legitimiere Derartiges nicht, indem ich mit dieser Person auf einer Bühne gleichberechtigt Standpunkte kundtue. Davor habe ich Angst. Ich habe es nicht gern mit Menschen zu tun, die früher gelernt haben, wie man Linke verletzen oder gar töten kann. Das ist nicht schön.
Muamer Bećirović
Was ist dann ein solcher Mensch für dich?
Maximilian Zirkowitsch
Naja, ich gehe davon aus, dass er das so jetzt nicht mehr vorhat. Trotzdem halte ich ihn für gefährlich. Ich halte ihn in Teilen für antidemokratisch. Ich halte ihn für rechtsextrem. Aber mein Gott, er ist trotz allem ein Mensch.
Muamer Bećirović
Gut oder böse?
Maximilian Zirkowitsch
Diese Kategorisierung gibt es für mich nicht – nicht in dieser Form, nicht in der Frage, ob ich mich mit jemandem unterhalte oder nicht. Zwar hast du mir vorhin diese Unterscheidung unterstellt, aber in Wahrheit habe ich das in unserem Gespräch nicht gemacht. Und ich habe auch nicht vor, das zu machen. Das scheint mir unvernünftig. Gleichzeitig ist es aber illusorisch zu behaupten, dass mein Freundeskreis die gesamte österreichische Bevölkerung in all ihren Spektren abdeckt. Das stört mich auch nicht wirklich. Aber es steht mir jederzeit frei, mich mit jedem zu unterhalten. Das ist nicht schwer.
Muamer Bećirović
Ich fand deine Unterscheidung zwischen Lopatka und Busek vorhin sehr interessant. Wo liegt denn bei den beiden der Unterschied? Die beiden entstammen doch demselben ideologischen Konsens.
Maximilian Zirkowitsch
Grundsätzlich ja. Aber Busek ist ein klassischer, urbaner Liberaler, während Lopatka einfach ein unfassbarer Scharfmacher und Verfechter von Schwarz-Blau ist. Lopatka hat schon unter der schwarz-blauen Regierung 2000–2006 viel im Hintergrund gewerkt. Ich tu’ mir schwer mit jemandem, der einem Sebastian Kurz, der jetzt schon eher weiter rechts in der ÖVP steht, als viele andere, den Rücken freihält und aufbaut. Busek ist mir da sicherlich um einiges sympathischer. Das mag vielleicht schlicht und ergreifend daran liegen, dass Busek sich authentisch als sehr belesen und humorvoll präsentiert. Busek ist halt irgendwie nett, Lopakta hingegen nicht.
Muamer Bećirović
Du hast ihn ja auch noch nie getroffen. Ich habe Lopatka schon mal getroffen und er ist ein sehr sympathischer Mensch, wenn er dir gegenüber sitzt.
Maximilian Zirkowitsch
Wenn ich ihn treffen würde, dann mit einem Ei.
Muamer Bećirović
(lacht in einem Ausmaße, dass ihm sogar schon Tränen kommen)
Maximilian Zirkowitsch
Oder zumindest mit einer Pointe. Nur weil es ihn gibt, muss ich ihn nicht treffen. Nur weil es ihn nicht gibt, muss ich ihn nicht gut finden. Aber ich habe deswegen kein Problem mit ihm, dass er da ist und dass er tut, was er tut.
Muamer Bećirović
Haben wir jetzt eigentlich irgendeine Frage beantwortet? Nein.
Maximilian Zirkowitsch
Ich – für meinen Teil – habe meine Fragen schon geklärt. Aber es ist schon ein eher ungewöhnliches Gespräch.
Muamer Bećirović
Weißt du, ich misstraue erstmals jedem, der sagt, er sei Robin Hood.
Maximilian Zirkowitsch
Das hast immer nur du gesagt.
Muamer Bećirović
Das stimmt. Ich sage es dir ja.
Maximilian Zirkowitsch
Aber du beschreibst ja nicht dich damit, sondern lastest es mir an. Ich finde es amüsant, dass du mir eine Eigenschaft zuschreibst, die ich nie in Anspruch genommen habe, nur um danach zu sagen, dass du mir misstraust.
Muamer Bećirović
Nein, das habe ich nicht so gesagt.
Maximilian Zirkowitsch
90 Prozent unserer Kommunikation ist nonverbal.
Muamer Bećirović
Ich finde dich ja sympathisch, sonst hätte ich dich ja nicht sprechen wollen.
Maximilian Zirkowitsch
Das ist lieb, ich mag dich auch.
Muamer Bećirović
Ich will auf die Frage hinaus, ob es einen Unterschied zwischen einem Robin Hood à la Jörg Haider und einem im Stile von Gregor Gysi gibt. Gibt es überhaupt einen? Ich meine, beide versprechen die heile Welt. Und ich glaube keinem, der sagt …
Maximilian Zirkowitsch
… die heile Welt für wen? Sprich den Satz fertig. Also das gute Leben für alle versprach Haider nicht. Er hat einfach sehr vielen Leuten ein schlechtes Leben versprochen. Es geht einem aber dann trotz allem besser, wenn man weiß, dass es einem anderen zumindest noch schlechter geht, als einem selbst.
Muamer Bećirović
Zurück zur eigentlichen Frage: Gysi sagt, dass er mit meiner Politik die heile Welt bringe. Ein Haider hat sie auch versprochen. Bloß beschränkte Haider sein Versprechen nur auf die „eigenen Leute“, während Gysi etwas breiter aufgestellt ist.
Maximilian Zirkowitsch
Du bist ja nicht nur deinen Wählerinnen und Wählern verpflichtet – schon deshalb, weil der Wählerwille ohnehin diffus ist. Der Wähler hat keine Möglichkeit sich zu artikulieren, er kann bloß ein Kreuzerl machen. Aber damit hast du die Meinung eines Wählers nicht erfasst.
Muamer Bećirović
Aber was ist der Unterschied zwischen den beiden? Im Kern versprechen beide das Blaue vom Himmel.
Maximilian Zirkowitsch
Ich sehe da ganz gewaltige Unterschiede. Allein schon die Tatsache, dieses „meine Leute“ völkisch zu fassen, ist rechts. Das spricht Bände. Wenn ich den Anspruch habe, die Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern, dann würde ich aus der historischen Erfahrung heraus sagen, dass es keine gute Idee ist, die Sache völkisch anzugehen. Beide Personen agieren nicht unabhängig. Beide sind in Parteistrukturen mit Machtgefällen eingebunden – mit wirtschaftlichen sowie persönlichen Abhängigkeiten. Und wenn man dann zum Beispiel beobachten kann, dass es Menschen aus der FPÖ gibt, die Minderheiten mit körperlicher Gewalt oder Tod bedrohen, sehe ich hier einen gewaltigen qualitativen Unterschied zwischen dem, was die Linkspartei in Deutschland macht und dem, was Jörg Haider oder die FPÖ gemacht hat beziehungsweise nach wie vor macht. Aber der Anspruch der Politik, ein besseres Leben für Menschen zu ermöglichen, ist grundsätzlich richtig. Darum sollte es doch grundsätzlich gehen. Es gibt halt Leute, die sagen, dass es immer eine gewisse Armut geben werde, dass man sich damit arrangieren solle. Die sagen dann auch, dass je reicher die Reichen werden, desto mehr auf die Ärmeren zurückfallen werde. Dieser Gedanken wurde damals unter Augusto Pinochet (chilenischer Diktator, 1915–2006; Anm.) in Chile in Praxis umgesetzt. Das Ganze hat dann halt darin geendet, dass er die Menschen aus den unteren sozialen Schichten in Stadien eingesperrt erschießen ließ. Aber wirtschaftlich natürlich hochinteressant dieser Marktliberalismus, ohne staatliche Eingriffe – solange der Staat die Gewehre behält. Man macht sich das alles viel zu einfach. Alle reden von Aufklärung und lesen nicht mehr die Kritik der Aufklärung. Es ist noch genug zu tun. Aber der Mensch ist gut, das wird schon.
Maximilian Zirkowitsch

© Julius Hirtzberger

Muamer Bećirović
Du hast mir meine Fragen jetzt fast alle beantwortet. Hast du Fragen?
Maximilian Zirkowitsch
Bist du eigentlich Mandatar?
Muamer Bećirović
Nein, bin ich nicht.
Maximilian Zirkowitsch
Wieso nicht?
Muamer Bećirović
Machtgefüge, die ich nicht kontrollieren kann, werter Max.
Maximilian Zirkowitsch
Gut, da unterscheiden sich die Parteien im Allgemeinen kaum.
Muamer Bećirović
Man muss sich die Sachen halt erkämpfen. Geschenkt bekommt man besonders in der Politik nichts.