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Gespräch N° 28 | Kultur

Florian Klenk

„Diese Leute sind mir unheimlich“

Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „FALTER“, fürchtet sich nicht vor Wolfgang Fellner, Clickbait oder dem Boulevardjournalismus. Im Gegenteil: Er verkauft mehr „FALTER“ denn je. Doch ist das noch objektiver Journalismus? Darf ein Journalist laut nach Reformen schreien? Und was unterscheidet einen Facebook-Newsfeed noch von einer Tageszeitung? Über böhmische Ziegelarbeiter, Gusenbauers Gaumenzapferl und die Frage, warum Diskussionsrunden mit klassischen Vollprofipolitikern so fad sind.
Dieses Gespräch führte Muamer Bećirović und erschien am 16. Januar 2017, fotografiert hat Julius Hirtzberger.
Muamer Bećirović
Warum machen Sie den „Falter“ eigentlich? Was motiviert Sie, Journalist zu sein, wenn Sie im PR-Bereich doch viel mehr verdienen könnten? Warum tun Sie sich das an? Liegt es vielleicht daran, dass Sie davon angetrieben werden, die einzige Institution des investigativen Journalismus’ in Österreich zu sein?
Florian Klenk
Zunächst bezweifle ich stark, dass ich die einzige Institution des investigativen Journalismus bin. Beim ORF gibt es Ulla Kramar-Schmid sowie mit Heidi Lackner, Ed Moschitz und Christine Grabner, die Kollegen vom „Schauplatz“. Beim „News“ gibt es Stefan Melichar, beim „profil“ Michael Nikbakhsh, Edith Meinhart, Martin Staudinger und Robert Treichler, beim „Standard“ Renate Graber. Dann gibt es die „Dossier“-Leute, Anna Thalhammer von der „Presse“ und die „nzz.at“-Kollegin Elisalex Henckel (lt. Eigendarstellung auf Twitter ist Frau Henckel derzeit Wien-Korrespondentin der deutschen »Welt«; Anm.). Kurzum: Wir erleben eine Hochblüte des investigativen Journalismus in Österreich. Wir haben noch nie so viele junge Kollegen gehabt, die sich in investigativen Techniken ausbilden lassen. Kollege Lukas Matzinger sitzt bei uns gerade an den „Football Leaks“, Kollege Josef Redl hat zusammen mit einem ORF-Team und Datenjournalisten die „Panama Papers“ aufgearbeitet. Ich könnte Ihnen noch eine Viertelstunde lang die Namen von Journalisten anführen, die in den letzten fünf Jahren exzellente, investigative Berichterstattung geleistet haben. Das gab es in diesem Land vor 20 Jahren noch nicht. Damals gab es „nur“ Alfred Worm beim Profil. Aber von dieser Spezialisierung, Vernetzung, Globalisierung, technischen Fähigkeiten, die wir heute genießen, konnte man vor 30 Jahren nur träumen.
Muamer Bećirović
Warum tun Sie sich das an?
Florian Klenk
Weil er ein wunderbarer Beruf ist. Weil der investigative Journalismus für mich persönlich die einzig ganztägig betreibbare Form des Journalismus ist. Andere mögen das selbstverständlich anders sehen. Die Urfunktion der Presse besteht bekanntlich darin, jene, die über Geld, Macht und Einfluss verfügen, zu kontrollieren.

© Julius Hirtzberger

Muamer Bećirović
Mich hat das Verhältnis zwischen Politik und Medien schon immer interessiert. Ich bin selbst ja sowohl in der politischen als auch in der journalistischen Welt – sofern man das als solche bezeichnen kann – unterwegs. Ich habe den Eindruck, dass Journalisten – im Gegensatz zu Politikern – kaum kritikfähig sind. Journalisten sind immer gut im Austeilen, aber beim Einstecken haben sie Schwierigkeiten. Bundeskanzler Kern hat dazu in seiner Diplomarbeit passend geschrieben, dass der Journalismus noch viel wehleidiger ist, als die Berufspolitik es je sein könnte. Ich meine, wer kritisiert heutzutage noch Journalisten?
Florian Klenk
Wo war ein ernstzunehmender Journalistenkollege, -kollegin in Österreich, in den letzten drei Jahren wehleidig?
Muamer Bećirović
Armin Wolf, zum Beispiel, in dieser GIS-Sache, in der er durchaus auch eine Art Gegenkampagne zu den NEOS fährt.
Florian Klenk
Das ist jetzt aber wirklich nicht „wehleidig“. Er hat einfach einen anderen politischen Standpunkt. Er ist der Meinung, dass der ORF sich über die Gebühren finanzieren solle. Ist das wehleidig?
Muamer Bećirović
Nein, ist es nicht.
Florian Klenk
Also, ich bestehe auf ein konkretes Beispiel.
Muamer Bećirović
Aber würden Sie nicht sagen, dass dem so ist?
Florian Klenk
Jeder von uns reagiert sensibel, wenn man uns wehtut oder angreift. Mir persönlich ist kein Fall bekannt, in dem ein Journalist öffentlich wehleidig gewesen wäre, bloß weil man ihn kritisiert hatte. Das heißt aber nicht, dass Journalisten – mich eingeschlossen – Kritik immer gut verdauen können. Da gebe ich Ihnen Recht. Es gibt ein paar Berufsstände, die sehr schlecht im Einstecken sind. Ich würde sagen, dass davon vor allem Lehrer, Richter, Ärzte und auch Journalisten, vielleicht auch die Priester, betroffen sind, weil deren Welt sehr stark von einem Schwarz-Weiß-Denken geprägt ist. Der Pfarrer unterscheidet zwischen gut und böse, der Arzt zwischen gesund und krank, der Lehrer zwischen brav und schlimm und der Journalist zwischen wahr und falsch. Insofern gebe ich Ihnen Recht, dass die Kritikfähigkeit im Journalismus vielleicht weniger ausgeprägt ist, als in anderen Berufen. Ich glaube aber dennoch nicht, dass Journalisten grundsätzlich wehleidig sind. Ich halte das für einen Mythos. Ich glaube, dass wir oft eitel sind, dass sich manch einer gerne im Lichte der Öffentlichkeit sonnt. Es ist Teil dieses Berufs, ständig in der Öffentlichkeit zu stehen. Manchmal schmeichelt das, manchmal überfordert es, manchmal verleitet das einen zu Handlungen, die – rückwirkend betrachtet – vielleicht falsch sind. Man kommt da halt in eine Dynamik hinein, aus der man schwer herauskommt und die einen überrumpelt. Aber bedeutet das dann wirklich, dass man wehleidig ist?
Muamer Bećirović
Dass sich politische Verantwortliche heutzutage kaum mehr trauen, Medien zu kritisieren, ist doch ein Zeichen der nachtragenden Wehleidigkeit von Journalisten.
Florian Klenk
Hallo?! Haben Sie schon einmal die Facebook-Seite von Strache gelesen? Er hat gerade Armin Wolf wörtlich „den Krieg erklärt“. Oder schon mal Sebastian Kurz’ Einlassungen über die Medien angehört? Schon das Kern-Interview im „Falter“ gelesen? Wir werden ständig kritisiert. Soeben warf mir der österreichische Innenminister (Wolfgang Sobotka, ÖVP; Anm.) vor, ich würde Nachrichten fälschen, obwohl meine Story über Erwin Pröll auf Punkt und Beistrich wahr ist. Sie sehen: Dass wir nicht von der Politik kritisiert werden, ist schlichtweg falsch. Da können wir jetzt ins Archiv gehen und uns anschauen, wie Ingrid Thurnher in den letzten sechs Monaten kritisiert wurde – auf die hinterhältigste Art und Weise, bloß weil sie die Augen einmal gerollt hatte. Es gab Beschwerden darüber, dass sie mit den Augen „falsch“ gerollt habe. Das ist kein Ausdruck von Wehleidigkeit! Wenn man aber sagt, dass Journalisten nie kritisiert werden, hat man den Faktencheck eindeutig nicht bestanden. (beide lachen) Aber ich mag die Frage.
Muamer Bećirović
Ich finde, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Dass es Minister oder Regierungsverantwortliche gibt, die sich trauen, Kritik zu äußern, wage ich zu bezweifeln. Hat sich Kern jemals gegen die „Krone“ gewandt? Das macht er garantiert nicht!

Florian Klenk
Haben Sie das Kern-Interview gelesen? Da sagte er unter anderem: „Eine Boulevardzeitung hat mir eine Gnadenfrist gegeben.“

Muamer Bećirović
Ja, ein einziges Interview! Das kann man nun wirklich nicht verallgemeinern.

© Julius Hirtzberger | Herr Klenk servierte zum Gespräch übrigens wohlschmeckenden Kaffee

Florian Klenk
Schauen’S nach! Jeder weiß, wen er damit gemeint hat. Die „Kronen Zeitung“.
Muamer Bećirović
Ich muss es den Leuten doch trotzdem direkt sagen können. Das traut sich letzten Endes doch niemand.
Florian Klenk
Kern tut das. Ich glaube aber, dass wir gerade einen dieser Fehler machen, viel zu viel über die Beziehung von Politikern und Journalisten zu reden.
Muamer Bećirović
Das Gefühl hätte ich nicht.
Florian Klenk
Ich schon. Wir reden viel zu viel darüber, was ein Politiker oder ein Journalist fühlt. Wir reden viel zu wenig darüber, welche Geschichten recherchiert werden sollten.
Muamer Bećirović
Das mag die Kritik des Journalismus an seiner selbst sein.
Florian Klenk
Politiker beschäftigen sich viel zu sehr mit den Medien. Sie legen viel zu viel Wert darauf, wie sie in den Medien rüberkommen – viel zu viel. Und Journalisten betreiben zu viel Psychologisierung von Politikern.
Muamer Bećirović
Das stimmt. Das hängt meistens auch davon ab, dass man, wenn man gut dasteht, länger überlebt.
Florian Klenk
Ist das so?
Muamer Bećirović
Die momentanen Beliebtheitswerte eines Sebastian Kurz’ sprechen für sich. Und diese sind meistens medial ausschlaggebend. Ich finde ganz spannend, Walter Lippmann (US-amerikanischer Journalist und Medienkritiker, 1889–1974; Anm.) hat einmal im 20. Jahrhundert über Zeitungen gesagt, dass sie das Ergebnis von Informationsselektion seien, dass sie die Antwort auf die Fragen sind, die sie für wichtig oder unwichtig halten.
Florian Klenk
Meinen Sie damit also Dinge, die ich zunächst für unwichtig halte, sich später jedoch als immanent wichtig herausstellen?
Muamer Bećirović
Genau. Er sagt, dass Zeitungen nichts weiter als Informationssiebe sind, dass sie selektieren, was für sie wichtig ist. Heute scheint das – in dem Ausmaß – nicht mehr der Fall zu sein.
Florian Klenk
Im Gegenteil! Genau das ist überhaupt die wichtigste Aufgabe der Zeitungen. Und sie wird gerade wiederentdeckt.
Muamer Bećirović
Das kann schon sein, aber in vielen Fällen wird man den Eindruck nicht los, dass dem Nebensächlichen viel mehr Gewicht beigemessen wird, als dem tatsächlich Hauptsächlichen. Ich kann mich noch erinnern, als Bundeskanzler Faymann bei der Ingrid Thurnher war und das einzige, worüber im Anschluss in der „Österreich“ berichtet wurde, waren seine zu kurzen Hosen und zu langen Krawatten. Das zeigt doch, dass Medien durchaus mitverantwortlich sind, für die Banalisierung von Politik und der Entpolitisierung des öffentlichen Lebens.

© Julius Hirtzberger

Florian Klenk
Reden wir über die Medien pauschal oder geben wir uns die Freiheit, zwischen „oe24.at“, der „New York Times“ und dem „Falter“ zu differenzieren?
Muamer Bećirović
Zeitungen, wie „Österreich“, sind die einzigen, die wachsen!
Florian Klenk
Reden wir jetzt über die Politiker? Oder unterscheiden wir zwischen Alexander Van der Bellen, Herbert Kickl, dem engagierten Bürgermeister am Land, dem Landespolitiker, der sich Tag und Nacht um die Bergstraßen seiner Bauern kümmert, und dem jungen Schülervertreter, der sich heißspornig für seine Kollegen einsetzt? Ich würde sagen, dass wir beginnen sollten, zu differenzieren! „oe24.at“ und „Falter“ sind ungefähr so wesensverwandt, wie Sie und Andreas Mölzer. (beide lachen)
Muamer Bećirović
Wir können auch ein anderes Beispiel nehmen: das deutsche Kanzlerduell 2013 zwischen Steinbrück und Merkel. Damals hat Merkel diese Deutschland-Kette angehabt. Im Anschluss dazu war dann nur mehr über „Diese elende Deutschland-Kette!“ zu lesen – aber nichts zum Inhaltlichen. Das ist mein Kritikpunkt.
Florian Klenk
Da gebe ich Ihnen ja Recht. Natürlich ist das ein Problem. Andererseits bringen die Medien auch Sachen, worüber die Menschen lachen, witzeln oder staunen. Ich kann mich an Gusenbauers legendäre, rote Aktentasche erinnern. Und wenn er sich bei einem Wahlsieg gefreut hatte, hat eine Kollegin geschrieben, dass er so vulgär lache, dass man seine Gaumenzäpfchen sehen könne. Damit will ich Ihnen sagen, dass wir natürlich – sofern wir die sprachliche Kraft haben – jeden mit Details und Kleinigkeiten niederschreiben können. Sie könnten mich auch – so wie ich jetzt hier sitze – hernehmen, Details finden und mich lächerlich machen. Auf Twitter funktioniert das noch besser. Insofern ist Ihre Frage eine sehr ernste. Es ist nämlich die Frage, inwieweit wir den Respekt und die Ernsthaftigkeit vor einander verlieren können. Wenn ich davon ausgehe, dass die Politik eine ernsthafte Tätigkeit ist, sollten Politiker eigentlich ernsthafte Leute sein, die ihr Leben dafür widmen, Kompromisse zu schließen, sodass die Gesellschaft eine Gesellschaft bleibt. Ich glaube auch, dass sie das sind – bis auf ein paar Kasperln halt. Ich glaube auch, dass Journalisten eigentlich ernsthafte Leute sind, die schauen, ob diese Kompromissschließung auch im Sinne einer res publica (lat. für „öffentliche Sache“ bzw. „Republik“; Anm.) funktioniert – und nicht im Sinne von Einzelinteressen oder jener von korrupten Typen. Wenn wir das einmal akzeptiert haben und aus diesem Kasperltheater ausbrechen, sind wir einen Schritt weiter. Ja, mir gelingt das auch manchmal nicht. Aber bitte legen Sie mir nicht den Fellner am Tisch! Der Letzte, den ich in diesem Land publizistisch verteidige, ist Wolfgang Fellner und seine … (überlegt bedacht) … Form von „Journalismus“.

© Julius Hirtzberger

Muamer Bećirović
Ich glaube, dass der Fellner’sche Journalismus gerade im Kommen ist.
Florian Klenk
Warten wir es ab. Die Zukunft wird nicht in Print und Online bestehen. Die Zukunft wird darin bestehen, ob ich für ein Produkt zahlen muss oder ob es gratis ist. Doch wenn etwas gratis sein soll, brauche ich viele Klicks. Und wenn ich viele Klicks brauche, muss ich – grundsätzlich – trivial werden. Nichtsdestotrotz kann ich auch viele Klicks kriegen, indem ich hochseriös bin. Ich kann auch viele Klicks kriegen, indem ich Sachen mache, die die Leute interessieren. Wir hatten im vergangenen Jahr eine Zahl an Klicks, die so unfassbar hoch war, dass wir sie uns selbst in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen konnten. Hauptsächlich verdanken wir den Anstieg der Klicks der Videoserie von Benedikt Narodoslawski zur Rhetorik Norbert Hofers (im Wahlkampf zur Bundespräsidentschaftswahl 2016; Anm.) und meiner Geschichte über den „Hassposter“ Boris (junger Oberösterreicher, den Herr Klenk persönlich zur Rede stellte, nachdem dieser ihm im Internet den bildlichen Tod gewünscht hatte; Anm.). 200.000 Aufrufe. Das ist wirklich verrückt. Und das, obwohl diese Geschichten alles andere als leicht verdaulich waren. Immerhin hatte die Geschichte mit Boris an die 24.000 Zeichen. Doch ich weiß anhand der Reaktionen vieler Leute, die mir schreiben, dass sie diesen Longread (eng. für publizistische Arbeiten in überdurchschnittlichem Umfang; Anm.) zu Ende lesen, weil sie Dinge erwähnen, die erst ganz am Ende des Textes vorkommen. Für mich lassen sich zwei Entwicklungen ausmachen. Die eine Entwicklung besteht darin, zu sagen: Hohe Qualität wollen wir grundsätzlich bezahlt wissen. Daher plakatieren wir hin und wieder den ein oder anderen Text auf Facebook, als Werbung oder Marketing, damit die Leute bei uns ein Abo abschließen und zahlen, und damit die Werbeindustrie sagen kann, dass sie bei uns vernünftige, interessierte Leser finde. Die andere, parallele Entwicklung wird eine Welt sein, in der wir Klamauk haben und die Leute sich – wie am Jahrmarkt – vom Oberflächlichen hinreißen lassen. Doch diese Entwicklungen sind – glaube ich – nichts Neues, die gab es schon immer, bloß finden sie halt in neuen technischen Umgebungen statt.
Muamer Bećirović
Ich glaube, dass das Ausmaß des „Klamauks“ größer geworden ist.
Florian Klenk
Vielleicht. Aber diese Situation hat es immer schon gegeben. Immer. Lesen Sie dazu einmal die Krone vor 30 Jahren. Wo ich Ihnen aber Recht gebe, ist, dass Facebook, Twitter und die sozialen Medien eine „Unterbrechungsgesellschaft“ befördern, die es uns schwer möglich macht, konzentriert längere Texte zu lesen. Ich sehe es an meinem eigenen Leseverhalten. Ich habe vor zehn Jahren selbstverständlich in der Früh, bevor ich ins Büro ging, eine „Süddeutsche Zeitung“, eine „Presse“ und einen „Standard“ gehabt und heute lese ich Twitter-Verläufe. Das ist ein Problem. Denn das Lesen einer Zeitung ist nach wie vor ein ganz anderer Kulturgenuss, als das Scrollen auf einer Facebook-Timeline. Davon bin ich fest überzeugt. Eine Zeitung ist Kultur, so wie ein Theaterstück, eine Opernaufführung oder ein gutes Buch. Das ist etwas anderes, als ein Endlos-Feed meiner Social Media. Ich will an dieser Stelle beides jedoch nicht gegeneinander ausspielen und sage auch nicht, dass etwas besser ist, als das andere. Ich sage nur, dass die Zeitung ein Kulturgut ist. Und wir müssen uns überlegen, ob wir dieses Kulturgut so leichtfertig aufgeben wollen, wie wir das momentan tun – nämlich indem wir den Inhalt dieses Kulturgutes verschandeln, verschenken und „unter die Leut’ schmeißen“. Mir persönlich ist dann doch lieber, dass die Leute Medien abonnieren, um einmal am Tag oder einmal in der Woche einen Text in Ruhe zu lesen.
Muamer Bećirović
Da stimme ich Ihnen sogar absolut zu! Ich habe da noch eine weitere These, die ich ganz spannend finde. Es geht um den Kampf um mehr Klicks. Niemand wird verneinen können, dass die derzeitigen Arbeitsbedingungen für Journalisten immer schlechter werden. Die Zeiten für Medien werden immer unsicherer. Der „Kurier“ baut Stellen ab, das „Wirtschaftsblatt“ wird dichtgemacht. Es findet gewissermaßen ein Aufmerksamkeitswettbewerb unter den Medien statt. Die seriösen Medien – habe ich das Gefühl – passen sich verstärkt dem Boulevard an. Das bringt drei Konsequenzen mit sich mit, die auch für die Politik bedeutend sind: eine Personalisierung, eine Skandalisierung und eine Banalisierung von Themen. Inhalte – die sich ihren Namen auch wirklich verdienen – verkaufen sich mittlerweile deutlich schlechter, als irgendwelche trivialen Seitenblickegeschichten. Politik verkommt – meines Erachtens – zur Gladiatorenarena.

© Julius Hirtzberger

Florian Klenk
Nochmal: Worüber reden wir? Reden wir über „Fox News“ (kontroverser, rechtspopulistischer Newssender aus den USA; Anm.) oder das „ICIJ“ (kurz für „International Consortium of Investigative Journalists“, internationales Netzwerk aus Investigativjournalisten; Anm.) und deren Recherche zu den „Panama Papers“? Oder reden wir über irgendeinen „oe24.at“-Einzeiler, den man schnell am Handy wegdrückt?
Muamer Bećirović
Ich versuche, einen Überblick zu schaffen.
Florian Klenk
Ja, es ist Teil einer Dramatisierung, so zu tun, als ob es in der medialen Öffentlichkeit nichts anderes mehr als Show, Skandalisierung und Übertreibung gäbe. Es ist übrigens auch ein beliebtes Beispiel der Politik, wenn sie kritisiert wird, anzuführen, dass Medien nur mehr Übertreibungsmaschinen seien, die nur nach mehr Likes, Klicks und Geld gieren würden. Ich muss als Politiker dort aber auch nicht hingehen. Ich kann mich erinnern, ich war mit Sebastian Kurz in Teheran. Als wir wieder in Wien gelandet sind, hat er eine Einladung zu irgendeiner deutschen Talkshow bekommen. Sein damaliger Berater hat ihm abgeraten, hinzugehen, da diese nicht in seiner Liga als Außenminister gespielt hätte. Der damalige Parteikollege hat hingegen geraten, dorthin zu gehen. Helmut Schmidt hat immer kritisiert, dass die „Bild“-Zeitung trivialisiere, aber dennoch war er immer der erste, der in all diesen Talkshows gesessen ist – mit seinen Mentholzigaretten – und hat den ganzen Rummel genossen.
Muamer Bećirović
Ich versuche einen Rahmen zu fassen. Ich weiß, dass Sie gerade versuchen, explizit auf ein Thema hinzuweisen …
Florian Klenk
Sie stellen ja eine These auf. Und ich versuche mit Ihnen herauszufinden, ob diese auch stimmt. Mir fällt bei Ihren Ausführungen zur Politik, als auch jenen zu den Medien, auf, dass Sie sehr oft Dinge behaupten, deren Gegenteil ich an vielen Stellen belegen kann. Ich bin generell kein Pessimist, was die Medien anbelangt. Ich glaube, dass wir gerade im ernsthaften Journalismus, so viele Vernetzungen, Investments, Initiativen und Projekte erleben, wie es sie in diesem Land noch nie zuvor gegeben hat. Nur reden wir nicht darüber. Wir sprechen stattdessen über den Herrn Fellner. Und der ist mir wurscht. Der Herr Fellner ist mir wirklich wurscht! Ich glaube auch, dass die Macht des Herrn Fellner vollkommen überschätzt wird. Früher hat es diese Macht des Einzelnen einmal gegeben, wie sie der alte Dichand (Hans, 1921–2010; Anm.) hatte. Wenn der Dichand damals mit der Hand gegenüber jemandem gewedelt hat, war dessen Karriere zu Ende. Wenn der Dichand gesagt hat, dass jemand in seiner Zeitung nicht positiv vorkommen werde, dann hat das damals den politischen Tod des Betreffenden bedeutet, weil der Dichand, neben dem ORF, damals das einzige Massenmedium in diesem Land war. Das war seine Macht. Das ist aber vorbei! Ich kann heute, wenn der Herr Richard Schmitt (Chefredakteur des Internetauftritts der „Kronen Zeitung“ – krone.at; Anm.) einen Quatsch schreibt, auf Facebook oder Twitter das Gegenteil beweisen und damit gerät die Aussagekraft des Herrn Schmitt ins Wanken. Er hat vielleicht viele Klicks, aber seine Macht schwindet. Er wird nicht mehr gefürchtet. Das stimmt mich positiv. Das ist sozusagen der positive Aspekt der Social Media. Und umgekehrt kann ein „Kleiner“ mit exzellenter Recherche, ungeahnte Auswirkungen entfalten. Meine Frage, die ich mir zu den Medien stelle, ist: Wie schaffen wir es, dass der „Kleine“ genügend finanzielle Ressourcen bekommt, dass er derart intensive Projekte betreiben kann? Und daher bin ich – und das ist etwas, was mir Armin Thurnher und Siegmar Schlager hier im Haus sehr lange beigebracht haben – der Meinung, dass ein Journalist auch ökonomisch denken muss. Wie finanziere ich meine Arbeit – und zwar nicht nur über Werbung? Das ist für mich die wichtige Frage. Denn wenn ich mich nur der Werbung ausliefere, muss ich irgendwann einmal Kompromisse eingehen. Mit  zu vielen Regierungsinseraten, so wenden viele ein, begraben wir die Glaubwürdigkeit der Kritik an den Regierenden – siehe Faymann und die „Krone“. Doch was bleibt einem dann noch übrig, wenn die Leser einen nicht mehr kaufen wollen, man aber im Gegenzug nicht will, dass man werbefinanziert wird? Irgendwo geht die Katze nicht in den Sack, wenn man sein Medium dennoch gratis anbieten will. Deshalb sind diese betriebswirtschaftlichen Überlegungen äußerst wichtig. Und ich glaube, wir stehen im Journalismus dort, wo die Eierindustrie vor zehn bis 15 Jahren stand: Nämlich dem Kunden klarzumachen, dass es neben den Legebatterien auch das Qualitätsprodukt „Freilandeier“ gibt, das man zu einem relativ geringfügigen Aufpreis kaufen kann. Schauen Sie sich an, was die Hühner tun müssen dafür, dass dieses Ei so billig produziert werden kann! Schauen Sie hinter die Kulissen! Oder schauen Sie sich einfach die Produktionsbedingungen in den Legebatterien an! Schauen Sie nach, was ein Bio-Ei ist und was für eine Struktur dort dahinter steckt. Dessen müssen sich die Menschen bewusst werden.
Muamer Bećirović
Ich verstehe es eh. Ich glaube schon, dass es möglich ist.
Florian Klenk
Es muss möglich sein. Es wäre furchtbar, wenn dem nicht so ist. Denn sonst würden wir etwas verlieren. Auch die Politik würde etwas verlieren – nämlich nicht nur eine sachliche Auseinandersetzung, sondern auch die Kontrolle jener, die vielleicht im Amt Sauereien begehen. Die ÖVP, der Sie – glaube ich – angehören, ist seit 30 Jahren an der Macht. Es kann sein, dass sie einmal nicht mehr an der Macht ist – ich weiß, das ist derzeit schwer vorstellbar (beide lachen) –, dann hat sie sicherlich ein großes Interesse als Oppositionspartei daran, dass es kritische Medien gibt, die einer rot-grünen, rot-blauen, rot-lila oder was auch immer für einer Koalition auf die Finger schaut.
Muamer Bećirović
Ja, da stimme ich Ihnen eh zu. Nur: So wie ich als Student jetzt die Medien konsumiere, habe ich das Gefühl – ich sage ja nicht, dass das ein Faktum ist –, dass Politik zu einer Art Gladiatorenarena wird. Sie gleicht dem ewigen Kampf, wer nun oben sitzt und wer diesem unterworfen ist. Lopakta widerspricht Mitterlehner …
Florian Klenk
Bei der Lopatka–Mitterlehner-Auseinandersetzung ging es primär um die Frage, wo sich die ÖVP positioniert. Positioniert sich die ÖVP auf Seiten eines Kandidaten (für die Bundespräsidentschaftswahl 2016; Anm.), der ganz dezidiert pro-EU ist, oder positioniert sie sich neben einen Kandidaten, der vor kurzem den „Öxit“ zumindest interessant gefunden hat? Das ist keine Gladiatorenshow. Sie wird vielleicht als solche inszeniert – das kann gut sein –, aber die Partei inszeniert sie auch schon selbst. Wenn ich mir anschaue, was der Herr Lopatka auf Twitter und Facebook schreibt, dann muss ich sagen, dass die Politik schon selbst für dieses Spiel verantwortlich ist. Wenn sich ein Politiker die „Boxhandschuhe“ anzieht, wie das Viktor Klima vor mittlerweile rund 16 Jahren tat, dann darf er sich als Politiker nicht wundern, wenn er schlussendlich tatsächlich in der Arena steht.

© Julius Hirtzberger

Muamer Bećirović
Ich wollte damit eigentlich sagen, dass die Leute einen Gewinner sehen wollen. Doch Politik ist nichts anderes als ein Kompromiss. Heute ist die Tendenz doch so, dass ein Kompromiss als etwas Schlechtes angesehen wird.
Florian Klenk
Ich weiß nicht, ob wir in der Politik immer einen Gewinner sehen wollen. Ich glaube, dass die Politiker das Gefühl haben, dass sie selbst einen Gewinner sehen wollen. Warum sind denn Diskussionsrunden mit klassischen Vollprofipolitikern so fad? Weil sie in der Regel nicht diskutieren und auch nicht zuhören. Anerkennende Worte an das Gegenüber sind schon einmal Tabu. Ein „Sie haben Recht!“ werden Sie praktisch nie hören. Nichts in diesem Land ist langweiliger, als die Runde der Klubobleute. Hin und wieder, ganz selten, wenn sie nicht ein ganz aktuelles Thema diskutieren, wird es interessant. Dahingegen ist nichts interessanter, als eine Runde mit Leuten, die ergebnisoffen in einer Diskussion gehen. Man kann sagen, es ist ein Problem der Medien, dass sie immer die gleichen Personen einladen, um diese dann gegeneinander aufzuhetzen. Man kann sagen, es ist ein Problem der Medien, dass sie immer dieses „Hunderennen“ inszenieren wollen – Stichwort „Regierungskrise“. Es ist aber auch ein Problem der Profi-Bundesspitzenpolitik, dass sie nicht diskutieren wollen, weil sie einfach ihre Message rüberbringen wollen, die sie einmal trainiert haben, als sie in irgendwelchen Rhetorikseminaren gesessen sind und gelernt haben, dass – egal was der andere fragt – man seine Message rüberbringen muss. Das ist langweilig.
Muamer Bećirović
Das mag zwar sein. Aber Sie haben als Moderator die Macht, eine gute Debatte daraus zu machen. Wenn hingegen immer dieselben Leute eingeladen werden, die sich an den Kragen wollen …
Florian Klenk
Ja, da bin ich ganz bei Ihnen. Ich würde auch nicht immer die gleichen Leute einladen. Ich finde, dass nichts lähmender als die Klubobleute-Runde ist.
Muamer Bećirović
Ein Beispiel der zunehmenden Skandalisierung: Allein die überbordend inflationäre Nutzung von „Breaking News“ in der Ankündigung heutzutage, zeigt doch, dass es nur mehr um die Generierung von hohen Zugriffszahlen geht – weniger um den tatsächlichen Informationsgehalt. Für mich ist es mittlerweile auch ziemlich schwer geworden, herauszufiltern, was nun ein Kommentar und was sachliche Berichterstattung beziehungsweise Faktendarstellung ist. Früher war es ja eine journalistische Tugend, Kommentare und Artikel sorgfältig zu trennen. Diese scheint nun ausgestorben.

© Julius Hirtzberger

(Klenk überlegt lange)
Florian Klenk
Lesen Sie „Die Not der Ziegelarbeiter vom Wienerberg“ von Victor Adler. Lesen Sie diese Reportage. Sie ist für alle, die sich mit Investigativjournalismus beschäftigen, die erste große Undercover-Enthüllungsgeschichte über die Ausbeutungsmethoden eines internationalen Konzerns – eben das, was wir heute zum Beispiel über Kleiderfabriken in Bangladesch oder von Amazon lesen. Doch ist sie objektiv?
Muamer Bećirović
Ja.
Florian Klenk
Und zugleich ist sie bei der Auswahl der Fakten extrem subjektiv, indem genau beschrieben wurde, wie hoch die Kubatur des Schlafsaals ist, in dem dutzende böhmische Ziegelarbeiter hausen. Wie viel Grad es dort hat, wo die schwangeren Frauen gebären. Wie viel Rendite die „Couponschneider“ – wie er sie nennt – genau schneiden, wenn sie ihre Umsätze machen. Das hat Victor Adler alles akribisch recherchiert und aufgeschrieben! Aber: Er hatte natürlich ein subjektives Ziel. Und das hieß „Reform“. Adler – als Leitstern – lehrte uns eine Lektion: Das Ziel investigativer Journalisten sollte Reform sein. Ich will beispielsweise, dass die Gefängnisse besser funktionieren. Ich will, dass die Politiker nicht korrupt sind. Ich habe ein subjektives Ziel. Ich habe einen Standpunkt. Aber um dieses Ziel zu erreichen, muss ich lauter objektivierbare Fakten einbringen. Das ist der Moment der Objektivität.
Muamer Bećirović
Aber ist es der Job des Journalisten, die Reform zu wollen?
Florian Klenk
Selbstverständlich auch.

Muamer Bećirović
(sehr entschieden) Nein, ist es nicht!

Florian Klenk
Investigative Journalisten waren oft auch Reformer. Werfen Sie doch einen Blick in die Geschichte! Max Winter, Victor Adler, Nelly Bly: Sie wollten alle Reformen.
Muamer Bećirović
Ich finde, dass das eine Einflussnahme ist. Und die halte ich für ein Problem. Denn sie ist nichts anderes eine Machtausübung.
Florian Klenk
Zu behaupten, dass Berichterstattung nicht zielgerichtet sei, halte ich für naiv. Ich gehe ja nicht auf die Straße und sage: „Ach, der Wärter sagt, dass das Gefängnis schon in Ordnung sei – auch wenn der Häftling sagt, dass ihm die Füße dort verfaulten.“ Stattdessen stelle ich die Frage: „Erstens, stimmt es, dass dem Häftling dort die Füße verfaulen? Zweitens, wer trägt daran Verantwortung? Drittens, wie sorge ich dafür, dass ihm das nicht mehr passiert?“ Das ist das Ziel einer Berichterstattung. Wie soll man denn sonst Bericht erstatten, wenn man selbst kein Ziel vor Augen hat, wenn einem alles gleichgültig ist? Wenn dem so wäre, warum sollte ich überhaupt noch berichten?
Muamer Bećirović
Um aufzudecken! Aber nicht, um zu reformieren!
Florian Klenk
Ja, aber warum decke ich denn auf?
Muamer Bećirović
Naja, weil es um die Geschichte geht.
Florian Klenk
Nein, ich decke nicht der Geschichte willen auf. Ich berichte nicht über jeden Menschen, der in Österreich stirbt. Ich berichte nicht über jede Kick-back-Zahlung, die es in diesem Land gibt. Ich berichte nicht über jeden Mord. Ich berichte über jene Fälle, von denen ich glaube, dass sie von öffentlichem Interesse sind. Und was qualifiziert das öffentliche Interesse? Zu kurze Socken und zu lange Krawatten sicherlich nicht. Das öffentliche Interesse habe ich dann, wenn etwas die Gesellschaft betrifft. Will ein Mächtiger etwas verbergen, das anderen schadet? Gibt es einen gesellschaftlichen Missstand? Leiden andere Menschen unter Missständen? Gibt es Momente, wo Gesetze geändert gehören? Der normale Journalismus – da gibt es eine schöne Definition – ist ein grober Entwurf der Geschichte und der investigative Journalismus ist ein Entwurf der zu erlassenden Gesetze. Das ist eine sehr schöne Definition, finde ich.
Muamer Bećirović
Das halte ich für problematisch, gar für eine Anmaßung.
Florian Klenk
Wenn Sie es nicht so empfinden würden, hätte ich meinen Job falsch gemacht. Ich finde es gut, dass Sie das für eine Anmaßung halten. Denn wir nehmen uns diese Anmaßung heraus, zu sagen: Wir legen unseren Finger auf die Wunden der Gesellschaft und der Politik und zeigen dorthin, wo sie nicht funktioniert. Ich glaube, dass unsere Arbeit vor allem einen Präventiveffekt hat. Gehen Sie in ein Land, das keine freie Presse hat! Gehen Sie in ein Land, wo die Presse nicht ins Gefängnis, nicht in Spitäler, nicht in Psychiatrien, nicht in Schulen, nicht in staatlich betriebene Institutionen schauen darf! Gehen Sie dorthin, wo das öffentliche Beschaffungswesen intransparent ist, wo die Privatisierung intransparent ist! Schauen Sie in diese Staaten und schauen Sie was passiert, wenn keine Presse hineinschauen kann! Dann vergleichen Sie das mit Staaten an, in denen all das gut funktioniert!
Muamer Bećirović
Aus dieser Sichtweise sehe ich die Sache genauso wie Sie. Ich sage nur, dass ich es anmaßend finde, wenn Sie es sich als Journalist zum Ziel machen, Reformen anzustreben, weil Journalisten demokratisch nicht die Macht gegeben wurde, Reformen zu wollen und umzusetzen. Ich habe aber nichts dagegen, dass Sie Missstände publizieren und aufdecken.
Florian Klenk
Warum dürfen Sie als Jungpolitiker das Ziel haben, eine Reform zu fordern und ich als Publizist nicht? Warum darf ich keinen besseren Jugendstrafvollzug fordern?
Muamer Bećirović
Weil die Objektivität dann nicht mehr gegeben ist!
Florian Klenk
Wie kann denn die Objektivität deshalb verlorengehen?
Muamer Bećirović
Das liegt wahrscheinlich im Auge des Betrachters.
Florian Klenk
Was ist denn objektiv? Ist Ihre Meinung objektiv und meine nicht? Ist das, was die Politik sagt, objektiv? Und ist die Kritik des Journalisten subjektiv?
Muamer Bećirović
Nein, das sage ich nicht! Ich sage nur …

© Julius Hirtzberger

Florian Klenk
(bestimmt) Wir Journalisten sind nicht eure Mikrofonständer! Wir sind nicht die Stenografen der Politiker. Das ist ein Irrtum.
Muamer Bećirović
(relativierend) Nein, das sage ich nicht …
Florian Klenk
Das erwartet ihr doch! Ihr erwartet, dass wir wie „Storify“ funktionieren. Ihr erwartet, dass wir wie eine Facebook-Timeline funktionieren, in die ihr eure, von der PR wohlformulierten Meldungen, hineinstecken könnt. Mit „ihr“ meine ich den Typus Politiker, der meint, dass ein Journalist keine eigene Meinung haben dürfe. Doch warum sollten wir keine haben dürfen? Selbstverständlich darf ein Journalist eine eigene Meinung haben!
Muamer Bećirović
Ich sage nicht, dass ein Journalist keine eigene Meinung haben darf. Die Frage ist nur, wie weit seine Meinung in seinen Journalismus einwirken darf.
Florian Klenk
Schlagen wir einmal eine Analogie zu einem Richter. Wenn ein Richter ein Urteil spricht und darüber entscheidet, wer Recht hat und wer nicht, dann muss er das Prinzip der fairen Verfahrens und den Grundsatz „audiatur et altera pars“ (lat. für „gehört werde auch der andere Teil“; Anm.) wirken lassen. Das heißt, ein Richter, der die Gegenseite nicht hört, und der sich nicht ein umfassendes Bild von dem macht, über das er urteilt, ist ein schlechter Richter. Er ist dann weder sachlich noch objektiv. Der Richter muss aber objektiv sein. Aber das Urteil, das er spricht, ist die Überzeugung, die er hat, nachdem er die Fakten analysiert und gesammelt bewertet hat. Sehr ähnlich sollte ein Journalist arbeiten. Wenn ich zum Beispiel über einen Politiker berichte, dem man nachsagt, dass er seine Dissertation abgeschrieben habe, dann muss ich zunächst den Sachverhalt gewissenhaft recherchieren. Das Ergebnis meiner Recherche wird mir dann hoffentlich verraten, wer Recht hat. Ich muss meine Schlussfolgerungen auch entsprechend verifizieren können. Wenn ich das nicht schaffe, dann muss ich dem Leser mitteilen, wieso ich das nicht kann. Hinter all dem steht ein journalistischer Reformgedanke: Ich hätte gerne einen Politiker, der sich seinen akademischen Grad nicht erschwindelt hat. Ich möchte akademische Redlichkeit von Personen mit Spitzpositionen haben. Ich möchte, dass diese Personen ehrlich sind. Das ist das Ziel. Das ist subjektiv.
Muamer Bećirović
Ich verstehe den Zugang, aber ich habe nur das Gefühl – das Gefühl wieder einmal …
Florian Klenk
(scherzend) Es ist zu viel Gefühl im Spiel. Wir reden viel zu viel über Gefühle.
Muamer Bećirović
Finden Sie es denn überhaupt nicht problematisch, dass ein Teil der Journalisten – ich sage nicht, dass es ein großer Teil ist – aktiv personalpolitische Entscheidungen treffen und politischen Einfluss ausüben will?
Florian Klenk
Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Ihre Frage lautet: Mache ich gezielt Politik, indem ich jemanden diskreditiere? Ich mache das, indem ich sage: „Schaut’s auch die Krawatte an! Schau’ was der für ein schiaches Gaumenzapferl hat! Da schau’, der hat zu große Ohren, zu große Füße!“. Das nennt sich Diskreditierungsjournalismus. Sehr oft steckt ein ganz konkretes, politisches Interesse dahinter, jemandem zu schaden beziehungsweise jemand anderem zu nutzen. Da bin ich bei Ihnen. Das ist eine Grenzüberschreitung. Das passiert leider auch viel zu oft, wobei Politiker häufig selbst dabei mitwirken. Das, was ich meine, ist etwas anderes. Wir Journalisten definieren eine Geschichte danach, ob sie von öffentlichem Interesse ist, oder nicht. Damit meine ich nicht, ob diese in der öffentlichen Neugier steht, sondern ob wir aus dieser Geschichte etwas über uns selbst lernen können, ob die Gesellschaft über die Gesellschaft etwas erfährt oder ob die Gesellschaft dadurch einen Reformbedarf erkennt. Das ist die Richtschnur einer guten, investigativen Geschichte. Die hat nichts mit zu kurzen Socken oder zu langen Krawatten zu tun. Es geht darum, eine Geschichte umfassend seriös zu recherchieren. Ich muss versuchen, den Lesern alles mitzuteilen, was ich weiß. Wer hat welche Interessen? Warum kommt diese Information gerade jetzt in dieser Form? Warum bekomme ich sie und jemand anders nicht? Hier muss ich sozusagen die Drohne sein, die über dem Ganzen drübersteht und Gesamtschau geben. Ich muss ein Bild beschreiben. Wenn dieses Bild erschütternd ist und danach ruft, dass etwas passiert, dann werde ich nach einer Reform rufen – ohne dass es eine Anmaßung ist. In der Regel reicht es, dieses Bild zu zeigen, sodass alle wissen, dass es einer Reform bedarf. Dazu passt der Vorfall mit dem verfaulten Häftlingsfuß ganz gut. Dieser Fuß war dem Justizminister Brandstetter, oder zumindest seinem Kabinett, bereits im Jänner 2014 bekannt. Bis Mai 2014 ist fast nichts passiert. Erst die Veröffentlichung, erst das Aufschreiben und Druckmachen hat dazu geführt, dass er die gesamte Strafvollzugsdirektion aufgelöst, die zuständigen Beamten mehr oder weniger abgesetzt beziehungsweise in Frühpension geschickt hat und heute ein neues Maßnahmenvollzugsgesetz in Ausarbeitung ist. Etwas, was einer Behörde bekannt ist, und etwas, was die Öffentlichkeit interessiert, sind zwei Paar Schuhe. Vielleicht erinnern Sie sich, als wir diese Geschichte über den Jungen gemacht haben, der mit dem Besenstiel im Strafvollzug vergewaltigt wurde. Das hat dazu geführt, dass heute zwei Drittel weniger Jugendliche in U-Haft sitzen, ohne dass ein einziges Gesetz geändert wurde. Stattdessen hat sich etwas in den Köpfen der Richter geändert. Sie wissen jetzt, was das Gefängnis für die Jugendlichen bedeuten kann und wägen nun anders ab, suchen nach alternativen Haftmethoden, wie zum Beispiel die sogenannte „Sozialnetzkonferenz“, bei der alle Verwandten miteinbezogen werden.

© Julius Hirtzberger

 

Muamer Bećirović
Ich weiß nicht, ob das Ihr Job als Journalist ist.
Florian Klenk
(bestimmt) Natürlich ist das mein Job. Natürlich ist es mein Job, zu sagen, dass wenn ein 14-jähriger unbeaufsichtigt ins Gefängnis gesperrt wird …
Muamer Bećirović
(einwerfend) Das ist Robin Hood!
Florian Klenk
Nein, das ist nicht Robin Hood! Das ist Kontrolle. Das ist publizistische Kontrolle. Das ist der Grund, warum die Presse in diesem Land Privilegien hat. Das ist der Grund, warum wir ein Aussageverweigerungsrecht vor Gericht haben. Ich darf mich vor Gericht darüber entschlagen, wer das Amtsgeheimnis gebrochen, mir Informationen aus dem Innersten des Staates gegeben hat, damit ich darüber berichten kann. Warum darf ich das? Weil der Staat sagt, dass die Arbeit, die wir tun, eine wichtige Kontrolltätigkeit sei. Das sagt er nicht, weil er Schiss vor uns hat, sondern weil es richtig ist, weil wir darüber erfahren wollen, wenn etwas schief läuft. Das Grundverständnis, das, was ein Journalist eigentlich sein sollte, ist das eines Kritikers. Ein Kritiker zeigt immer auf, was schlecht rennt. Ein Kritiker wird im besten Fall – jetzt sind wir beim „constructive journalism“ (zu dt. etwa „konstruktiver Journalismus“; Anm.) – immer dazusagen, wie es besser gehen könnte. Er wird auch immer recherchieren, ob es anderswo Vorbilder gibt, an denen man sich orientieren könnte. Das ist unsere Aufgabe. Deswegen haben wir einen Presseausweis. Deswegen haben wir ein Entschlagungsrecht. Deswegen gibt es auch eine Presseförderung. Das ist die Uraufgabe des Journalismus.
Muamer Bećirović
Ich stimme Ihnen sogar zu – jetzt nachdem Sie es mir erklärt haben. (Klenk lacht)
Florian Klenk
Dass man das noch erklären muss, zeugt ja davon, dass dieses Verständnis in Ihrer Generation offensichtlich verloren geht. Und das ist das, was mir Sorgen macht. Denn so weit auseinander sind wir beide altersmäßig nicht. Ich komme nicht aus einer ganz anderen Welt, glaube ich zumindest.
Muamer Bećirović
Ich habe schon den Eindruck, dass die Medien die „vierte Gewalt“ sind.
Florian Klenk
Was bedeutet denn „vierte Gewalt“ konkret? Die Medien sind natürlich eine Macht. Wenn Journalisten diese Macht missbrauchen, ist der „Falter“ einer der ersten – will ich einmal behaupten –, der das thematisiert. Wir haben sogar ein eigenes Medienressort, das sich nur damit beschäftigt.
Muamer Bećirović
Kann es sein, dass der Rückgang an Lesern und Zuschauern damit zusammenhängt, dass die Menschen neben ihren Zweifeln an der Problemlösungsfähigkeit der Politik, auch …
Florian Klenk
Wir (beim „Falter“; Anm.) verzeichnen keinen Rückgang an Lesern und Zuschauern.
Muamer Bećirović
Ich meinte die Medienlandschaft allgemein als Ganzes.
Florian Klenk
Wir haben noch nie so viel „Falter“ verkauft, wie jetzt! Wann zuvor haben 200.000 Menschen einen „Falter“-Artikel gelesen oder hunderttausendfach ein von uns gestaltetes Video angesehen? Ich glaube auch, dass die „ZIB“ keinen Leser- beziehungsweise Zuschauerschwund erlebt.
Muamer Bećirović
Denken Sie, dass die Menschen an der Informationskompetenz der Medien zweifeln – Stichwort „Lügenpresse“?
Florian Klenk
Mein Gott, der Vorwurf der Lügenpresse … (seufzt) Betrachten wir einmal, was gerade in Syrien geschieht. Wir sind jetzt mit der Tragödie von Aleppo konfrontiert. Wir wissen alle, dass etwas furchtbar Schlimmes passiert. Aber kaum jemand von uns ist dort vor Ort anwesend. Wir ahnen, dass etwas Entsetzliches passiert, bloß wissen wir es noch nicht wirklich wie es passiert. Wir haben noch keine Bilder davon. Wahrscheinlich werden wir sie irgendwann bekommen. Früher haben die Leute in einer solchen Situation die Zeitung aufgeschlagen und dem Journalisten vertraut, der die Nachrichten im klassischen Sinne „editiert“. Im angloamerikanischen Raum ist der sogenannte „editor“ dafür verantwortlich, die eintrudelnden Informationshäppchen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Er entscheidet, was wichtig ist und was nicht. Er macht das Werk, dass wir dann in der Zeitung lesen. Heute haben wir Leute vor Ort. Leute, die auf Twitter ein Video hochladen, von dem wir nicht wirklich wissen, wo es aufgenommen wurde. Vielleicht stammt es aus Aleppo. Wer weiß? Die Zeitungen lernen ja auch gerade erst mit sozialen Medien umzugehen. Wir müssen ja selbst lernen, dass auf einmal massenhaft Informationen auf uns einprasseln. Sehr beliebt bei der Verarbeitung neuer Erkenntnisse ist das sogenannte „WaWiWi“ – „Was wir wissen“. Das erste, was passiert, wenn eine große Katastrophe eintritt, ist, dass wir danach fragen, was wir wissen und was nicht. Wie „WaWiWis“ verzeichnen überdurchschnittlich viele Zugriffe. Es gibt eine regelrechte Sehnsucht der Leserschaft danach. Ich sehe eine große Zukunft und eine große Chance für den Journalismus, dass gerade in diesem Wirrwarr, der Journalist wieder der Anker werden kann. Diese Diskussion ist mir viel wichtiger, als die Frage danach, ob und wie wehleidig Journalisten sind.
Muamer Bećirović
Naja, ich wollte halt ein bisschen sticheln.
Florian Klenk
Dann sind Sie in diesem Sinne, ein klassischer, österreichischer Journalist.

(beide lachen)

© Julius Hirtzberger

Muamer Bećirović
Wieso haben Politiker Angst, sich gegenüber Medien pointiert zu äußern? Liegt das am Gefühl, öffentlich hingerichtet zu werden? Sind Politiker dermaßen feige geworden, sich pointiert zu äußern?
Florian Klenk
Das hängt mit dem sogenannten Glatteis-Journalismus zusammen.
Muamer Bećirović
Mein Lieblingssatz aller Politiker ist „Eine gute Grundlage ist die beste Voraussetzung für eine solide Basis“. Damit kommt man ja überall durch.
Florian Klenk
Das ist eine Konsequenz des Glatteis-Journalismus’. Den Politiker mit Fragen auf ein Glatteis zu führen und dort ausrutschen zu lassen, ist billig. So muss ich jenen Kollegen vorwerfen, die Claudia Bandion-Ortner (Claudia, Justizministerin 2009–2011, ÖVP; Anm.), der man viel vorwerfen kann, damals unterstellt haben, dass sie die Todesstrafe verharmlose.
Muamer Bećirović
Aber sie ist dafür öffentlich „hingerichtet“ worden.
Florian Klenk
Sie ist öffentlich „hingerichtet“ worden, weil sie auf die Aussage, dass in Saudi-Arabien jeden Freitag jemand hingerichtet werde, geantwortet hatte, dass das vielleicht nicht jeden Freitag so sei. Ich kann nicht erkennen, dass sie da die Todesstrafe relativiert hätte, sondern viel eher eine saloppe – womöglich unglückliche – Bemerkung. Sie wollte diese auch nicht gedruckt wissen und das sollte man doch respektieren. Wenn wir hier ein Gespräch führen, werden Sie mir das Gespräch in der schriftlichen Form auf den Tisch legen, damit sichergestellt ist, dass keine Aussagen verdreht wurden. Denn es ist etwas anderes, wenn wir einander zuhören und persönlich miteinander reden. Denn wenn wir lächeln oder blödeln, haben die Worte eine komplett andere Bedeutung. Doch all diese erheblichen Zusatzinformationen kann man nicht aus einem Transkript herauslesen. Es ist sinnlos, zu versuchen, einander aufs Glatteis zu führen.
Muamer Bećirović
Gerade diese Form von Journalismus züchtet eine Generation von Politikern heran, die nicht anecken wollen.
Florian Klenk
Richtig!
Muamer Bećirović
Das stimmt. Aber es wundert mich auch nicht, dass die größten Staatsmänner eine Abneigung gegenüber Journalisten hatten. Schmidt, Kohl …
Florian Klenk
Naja, Schmidt war ja selbst Herausgeber der „Zeit“.
Muamer Bećirović
Eine gewisse Abneigung gegenüber Journalisten hatten sie alle. Alle.
Florian Klenk
Und gleichzeitig haben sie die Journalisten alle hofiert und gebraucht. Wobei ich persönlich ja kein klassischer Innenpolitikjournalist bin. Mein Kerngeschäft ist es nicht, den Bundeskanzler zu interviewen.
Muamer Bećirović
Die letzte Sache: Ich finde, dass Medien dafür sorgen, dass niemand sich mehr die Politik antun will. Wir haben das Problem, dass in allen Parteien der Nachwuchs Mangelware ist. Das schlägt ja schon in eine regelrechte Politikerverachtung über. Wenn ich in der Privatwirtschaft mehr verdienen und dabei nicht Opfer medialer Prügel werden kann, wundert es mich nicht, wenn kluge Köpfe die Politik meiden.
Florian Klenk
Wieder die Frage: Stimmt das so? Ich sehe einen 30-jährigen Außenminister.
Muamer Bećirović
Einen. Ein Jahrhunderttalent. Eine Ausnahme.
Florian Klenk
Naja, bleiben wir am Boden! Ich sehe die „Sektion 8“ (eine „Sektion“ ist die niedrigste Organisationseinheit in der SPÖ; Anm.) in Wien mit jungen klugen Leuten. Ich sehe viele junge Linke, die sich sehr intensiv den Kopf zerbrechen – von „Mosaik“ bis eben zur „Sektion 8“. Ich sehe bei den Grünen zunehmend junge Leute, die sich in Wahlkämpfen engagieren, etwa in der ganzen Asyldebatte. Ich sehe auch bei den Freiheitlichen viele Junge und bei den NEOS.

© Julius Hirtzberger

Muamer Bećirović
Ich glaube, dass die Kurve – verglichen mit früher – abnimmt.
Florian Klenk
Ich glaube, dass man – so wie Kern treffend das formuliert hat – ein „Masochist“ sein muss.
Muamer Bećirović
Sind Sie objektiv? Ich habe das Gefühl, dass sie durchaus ein Ideologe sind.
Florian Klenk
Was meinen Sie mit „objektiv“?
Muamer Bećirović
Damit meine ich, ob Sie ideologiebefreit berichten.
Florian Klenk
Das würde ich nicht als „objektiv“ bezeichnen! Kein Mensch ist so ideologiebefreit. Ich mache mir meine gesellschaftspolitischen Position und Situation bewusst. Hin und wieder äußere ich meine politische Meinung auch …
Muamer Bećirović
Ein Konservativer sind Sie nicht, oder?
Niemand ist ideologiebefreit. Wer behauptet, es zu sein, tarnt seine ideologischen Absichten. Diese Leute sind mir unheimlich.Florian Klenk über Objektivität im Journalismus
Florian Klenk
Nein. Aber es gibt Bereiche, in denen ich wahrscheinlich konservativer bin, als mancher meiner „Falter“-Kollegen. Und es gibt Bereiche, in denen ich viel linker bin, als viele Linke. Ich bin was die Justizpolitik anlangt, zum Beispiel sehr links. Ich bin kein Mitglied irgendeiner Partei oder Organisation. Ich bin – anders als Sie – nie einer Partei beigetreten. Ich bin „objektiv“ im Sinne von „äquidistant“. Bin ich neutral? Ja, im Sammeln von Information versuche ich es zu sein – im Sinne von „Ich höre diese, als auch jene Seite an“. Bin ich ideologiebefreit? Natürlich nicht. Niemand ist ideologiebefreit. Wer behauptet, es zu sein, tarnt seine ideologischen Absichten. Diese Leute sind mir unheimlich.
Muamer Bećirović
Sie, Herr Klenk, haben vor einigen Tagen einen Beitrag zur Privatstiftung Erwin Prölls geschrieben und ihn als Skandal inszeniert. Besagte Stiftung gründete Landeshauptmann Erwin Pröll 2007 nach seinem 60. Geburtstag. Anfangs wurden 150.000 Euro, die von vielen verschiedenen, privaten Seiten zusammengekommen waren, eingebracht. Gefolgt sind 300.000 Euro aus der öffentlichen Hand, die noch „zur Gänze vorhanden“ sind. Bisher wurden großteils lediglich die ursprünglichen, privaten 150.000 Euro verwendet. „Ausschließlich“ Bedürftige, Kinder wie Erwachsene, und ehrenamtliche Einrichtungen haben von diesen Geldern profitiert. Wenn man der Stellungnahme der Niederösterreichischen Volkspartei Glauben schenken darf, so sei der Stiftungszweck die „Förderung des kulturellen Lebens, des sozialen und harmonischen Zusammenlebens im ländlichen Raum durch Förderung von Projekten und Initiativen“. Weiters wird ausgeführt: „Ziel dieser Stiftung ist eine Akademie für den ländlichen Raum“. Die Förderungen wurden, wie von so vielen anderen Vereine und Institutionen auch, bei der niederösterreichischen Landesregierung beantragt und von ihr einstimmig beschlossen. Die dafür vorgesehenen, beschlossenen öffentlichen Gelder liegen nach wie vor in voller Höhe, unangetastet auf Konten des Landes und der Stiftung.
Somit kann einem Vorwurf, Landeshauptmann Pröll könne sich mit Hilfe öffentlicher Gelder politisch profilieren, kein Wahrheitsgehalt zugesprochen werden. Man könnte lediglich anprangern, dass Gelder „angespart“ werden, indem man sie ungenutzt auf den Konten liegen lässt. Hier wäre zu prüfen, ob das Ziel, die Gründung einer Akademie, zu einem späteren Zeitpunkt – ohne dieses „Ansparen“ – realisiert werden könnte oder ob ein anderes, alternatives Vorgehen sinnvoller wäre. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass der Zufluss von öffentlichen Geldern an diese Stiftung von allen in der Landesregierung vertretenen Parteien genehmigt wurde und zu keinem Zeitpunkt geeignet waren, sich mit ihnen in irgendeiner Art zu profilieren.
All diese Umstände sollten einem Journalisten doch bekannt sein, wenn er über sie berichtet. Und angesichts sämtlicher Tatsachen in diesem Fall, stellt sich die Frage: Inwieweit sind hier Korruption beziehungsweise Machtmissbrauch erkennbar? In welchem konkreten Fall sehen Sie eine Verfehlung von Landeshauptmann Pröll begründet, die Sie ja so stark medial anprangern?
Florian Klenk
Das war eine sehr lange Frage. Ich beantworte sie mit einer sehr kurzen Gegenfrage: Wo war die Leistung der „Erwin Pröll-Stiftung“ für 1,35 Millionen Euro Steuergeld?