Wolfgang Schüssel – Während für die Deutschen gut genug, …
Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe einen Eindruck vom Wesen des österreichischen Altkanzlers zu erlangen. Die Persönlichkeit Wolfgang Schüssels lässt sich mit vielen Attributen beschreiben. Wenn man seine Bücher liest, sieht man einen verspielten Intellektuellen vor sich, der seine Neugier für das Neue nicht verloren hat. Es handelt sich um einen Menschen, dessen Zeit in der katholischen Jugend sein Weltbild entscheidend geprägt hat. Er scheut öffentliche Kritik nicht. Oft ist Schüssel herablassend und überheblich, wenngleich er zugleich auch charmant und humorvoll sein kann.
Als 1995 Wolfgang Schüssel seinen Parteikollegen Erhard Busek an der ÖVP-Spitze ablöste, galt er als Notlösung. Ehrgeizig brach er Neuwahlen vom Zaun und verlor. Sein Ehrgeiz verlor an Stärke, doch gänzlich verloren ging er nie. In der darauffolgenden Nationalratswahl 1999 führte er die ÖVP auf den dritten Platz – hinter SPÖ und FPÖ. Auch wenn die SPÖ als stimmstärkste Partei aus dieser Wahl hervorging, lotste er die zweitplatzierten FPÖ als Juniorpartner (!) ins Regierungsboot. Schüssel erlaubte sich – mit seiner Krönung zum Bundeskanzler – einen noch nie zuvor dagewesenen Tabubruch. Er machte sich mächtige Feinde, die allesamt bildlich auf ihn einprügelten. Die SPÖ, Teile seiner eigenen Partei, der Boulevard und die Sozialpartner waren nicht gut auf ihn anzusprechen.
Doch was für ein politisches Kaliber war Altkanzler Wolfgang Schüssel?
Vor seiner Amtszeit war Österreich ein Sanierungsfall. 1999 war Österreich – hinter Griechenland – die meistverschuldete Nation Europas. Die große Koalition war – damals wie heute – am Ende mit ihren Ideen. Schüssel veränderte mehr als seine Nachfolger. Die Krankenkassen waren 2014 – mithilfe seiner Reformen – nach Jahren der Hochverschuldung schuldenfrei. Die staatliche Industrie war mit 130 Milliarden Schilling im Absturz begriffen und vermisste die heute an den Tag gelegte Produktivität. Als Gegenmaßnahme teilprivatisierte er die OMV, Post, Voest und Telekom. Er entpolitisierte die Führungsriegen. Heute haben die Unternehmen ihre Schulden fast zur Gänze beglichen. Der Wert der verbliebenen Anteile des Staates ist heute höher als die Unternehmen vor den Privatisierungen. Statt Schulden zu tilgen, ernten die Republik nun die Früchte der Dividenden.
Das Beamtendienstrecht konnte Schüssel nicht verändern, da sich seine Partei sonst gänzlich gegen ihn verschworen hätte. Dennoch verabschiedete er eine Verwaltungsreform, die in sieben Jahren 20 Milliarden Euro einbrachte. Heute ist eine Reform dieses Ausmaßes unvorstellbar. Seine Veränderungen brachten eine Senkung der Steuerquote von 45% auf 41,7%, die Sanierung des Staatbudgets und ein einmaliges Nulldefizit. Unter Schüssel katapultierte sich Österreich vom vorletzten Platz auf der EU-Schuldnerliste hinauf zum achten.
Ungeachtet dessen, machte Schüssel auch Fehler. Sein großes Problem war, dass er nie wirklich die Kontrolle über sein Regierungsteam hatte. Insbesondere die kriminellen Machenschaften mancher Regierungsmitglieder werfen einen äußerst dunklen Schatten auf seine Person. Man muss ihm jedoch zu Gute halten, dass er – ohne Rücksicht auf eventuellen Gegenwind – seine Agenda, von der er überzeugt war, voranbrachte. Man könnte sogar meinen, dass er das Notwendige für sein Land tat. Für einen Konservativen brach er einige Tabus.
Seine Reformen waren schmerzlich. Doch sie waren notwendig. Man stempelte ihn dafür als neoliberalen Privatisierer, Pensionsräuber, Beamtenfresser und dergleichen ab. Für all diese schmerzhaften Einschnitte präsentierte die Bevölkerung ihm die Rechnung am Wahltag 2006, als er verlor. Seine Wirtschafts- und Pensionsreformen sind mitunter ein ausschlaggebender Grund, dass Österreich die Krise 2008 derart gut überstand.
An seiner Person scheiden nach wie vor die Geister. In der heutigen Tagespolitik hört man ihn kaum noch. Stattdessen sitzt er dieser Tage in den zwei wohl mächtigsten Stiftungen Europas: der Bertelsmann-Stiftung und der Konrad-Adenauer-Stiftung als Kuratoriumsvorsitzender. Es scheint, dass ihn die Deutschen mehr als die Österreicher schätzen.