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Portrait | Kamera

Kern, der Medienkanzler

Alle mögen ihn. Am SPÖ-Parteitag flogen Christian Kern sprichwörtlich die Rosen nur so zu. Doch wird der schicke Manager aus Simmering den Erwartungen gerecht? Österreichs Neo-Kanzler im Portrait.
Dieses Portrait verfasste Stefan A. Mayer, es erschien am 29. Juni 2016.

 

Christian Kern tanzt nun seit über einem Monat in Faymanns Fußstapfen auf dem politischen Parkett Österreichs. Und das macht er gut: Sie nennen ihn den „Revolutionär“, den „Machertyp“, den „Neo-Vranitzky“. Oder – angelehnt an ein Bekleidungsunternehmen – schlichtweg „CK“, hat der Ex-ÖBB-Chef doch bekanntermaßen ein Faible für dunkle Designeranzüge.

Und die lässt er sich stehen. Eitel, modisch und selbstbewusst, aber keineswegs arrogant. Das gepflegte, schwarze Haar, die sichere Körpersprache und die seriöse Mimik runden das Bild ab: Christian Kern wird vom Boulevard längst als Stilikone der österreichischen Politik gefeiert. Und das weiß er auch.

© Bundeskanzleramt

© Bundeskanzleramt

Nicht umsonst macht sich Kern öffentlichkeitsträchtig Gedanken darüber, welche Manschettenknöpfe zu welchem Anlass an sein Hemd gesteckt werden sollen: Der Kanzler weiß eben, sich geschickt zu vermarkten – und präsentiert sich stets am Puls der Zeit. Wurde sein Amtsvorgänger noch auf Facebook regelrecht zur Schnecke gemacht, genießt Kern die durchwegs sympathiegeladene Aufmerksamkeit seiner Follower auf dem für Politiker eher unüblichen Instagram.

Wie man es von einem Manager erwarten könnte, war aber auch dieser Move akribisch durchdacht: Der Kanzler engagierte nämlich eigene, junge Fotografentalente, um sein Image nicht der Willkür des Fotojournalismus zu überlassen. Diese exklusiven Schnappschüsse werden mit anmutigen Filtern versetzt und über diverse Social-Media-Kanäle in die staunenden Augen der Bevölkerung gespielt. Unabhängige Journalisten sind bei Interviewterminen nicht umsonst eher weniger gerne gesehen.

Auch kein Zufall ist die Tatsache, dass sämtliche Interviewtermine im prestigeträchtigen „Kreisky-Zimmer“ des Bundeskanzleramts stattfinden: Von Kreisky selbst noch abfällig als „Zigarrenkistl“ bezeichnet, nutzt Kern die Retro-Atmosphäre des pompösen Kronleuchters und des dunklen Echtholzes aus den 50er-Jahren gezielt zur Imagepolitur. „Das sieht ein bisschen aus wie bei ‚House of Cards‘“, sagt ein User im „Standard“-Forum.

Was tatsächlich etwas US-Flair versprüht, ist Kerns kantiger Karriereweg, der sich ein bisschen wie ein Musterbeispiel des „amerikanischen Traums“ liest: Mitte der 60er Jahre im Arbeiterbezirk Wien-Simmering geboren, wächst Christian Kern als Sohn eines Elektroinstallateurs und einer Sekretärin in einem eher unpolitischen Haushalt auf. Über die Funktion des Schulsprechers am Gymnasium in der Gottschalkgasse und das spätere Engagement beim VSStÖ zog es Kern über den Wirtschaftsjournalismus schließlich in die Politik: Der studierte Kommunikationswissenschaftler stand dem damaligen Staatssekretär und späteren SP-Klubobmann Peter Kostelka als Büroleiter und Pressesprecher zur Seite, bevor er in die Privatwirtschaft wechselte, wo er sich bei der eigentlich schwarzlastigen Verbund AG bis zum Vorstandsmitglied hocharbeitete. Der ambitionierte Kern aber wollte mehr, wurde Vorstandsvorsitzender der ÖBB und später auch Vorsitzender der Gemeinschaft der Europäischen Bahnen.

Wer Kerns Lebensweg jedoch aktiv mitverfolgt hat, konnte förmlich riechen, dass dieser Mann noch Größeres vorhat. Obwohl er sich ein mehr als starkes Standbein in der Privatwirtschaft aufbauen konnte, wurde Kern medial immer und immer wieder als SPÖ-Zukunftshoffnung ins Spiel gebracht – Gerüchte, die der bescheidene Kern stets von sich zu weisen wusste, wenn es nicht Faymanns Vertraute und Nationalratspräsidentin Doris Bures gerade tat, die noch im Dezember 2014 behauptete, Kern wäre „nicht so ein guter Politiker“. Dem konnte Kanzler Faymann nur beipflichten: „Die Doris Bures kennt den Christian Kern besser als ich, die wird schon wissen, wer er ist.“

Besser als Faymann, aber wohl nicht gut genug: Im Mai 2016 tritt Werner Faymann überraschend zurück, eine Personaldebatte bricht aus. Wer soll die Geschicke der Republik Österreich lenken? Wer soll die Sozialdemokratie aus dem tiefen Loch der Wahlenttäuschungen ziehen? Christian Kern, der sich seit Jahren mit roten Funktionären und namhaften Journalisten umgibt, schlägt zu und setzt sich gegen Medienguru Gerhard Zeiler und Ex-Siemens-Vorständin Brigitte Ederer als Faymanns Nachfolger durch. „Endlich Kanzler“ heißt es treffend im „Standard“.

© Bundeskanzleramt

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Nun, knappe sechs Wochen später, wurde Kern am Parteitag schließlich mit 96,8 Prozent zum neuen SPÖ-Chef gewählt. Als er dort aufs Podium tritt, überschütten ihn sämtliche Funktionäre schon nach wenigen Worten mit Applaus, was Kern Tränen in die Augen schießen lässt. Der Rückhalt der Partei ist da, der Vertrauensvorschuss riesig. Aber zurecht?   

Weiß man denn überhaupt schon, wer Christian Kern eigentlich ist? Wenn es zu seiner politischen Einstellung kommt, scheiden sich jedenfalls die Geister. Die FPÖ attestiert ihm Linksextremismus, gilt Kern doch als Vertreter des linkeren Flügels der SPÖ, der schon als ÖBB-Chef damit aufhorchen ließ, die Beförderung für Tausende Flüchtlinge zu organisieren. Als Bundeskanzler sorgte er Anfang Juni erneut für Aufruhr rechts der Mitte, als er sich offen zu Vermögens- und Maschinensteuern bekannte. Gerade von einem Manager hätten sich viele Menschen eine wirtschaftsfreundlichere Linie erwartet, heißt es.

Und doch hat man das Gefühl, dass Christian Kern eine sehr ideologische, pragmatisch anmutende Attitüde pflegt. „Cholerische Anfälle verachte ich zutiefst“, verriet er einst im Magazin „Datum“. Einen „Revoluzzer“ dürfte man also nicht erwarten, ebenso unwahrscheinlich ist die Annahme, Kern würde die SPÖ auch als Oppositionsführer leiten wollen. Also doch kein großer Ideologe?

Obwohl es vermutlich zu früh ist, einem Quereinsteiger nach nur wenigen Wochen im Bundeskanzleramt die Bilanz auf den Tisch zu knallen, werden unter dem lauten Getöse der Begeisterung auch kritische Stimmen laut. Kern verstecke sich hinter einer dicken Fassade aus Marketingtricks, heißt es. Im Forum der „Presse“ wirft man ihm „alten Stil im neuen Anzug“ vor, Politikwissenschaftler Peter Filzmaier ortet beim Neo-Kanzler „pures Geplänkel“ und auch im „profil“ heißt es, Kern sei ein leerer „Signifikant“, welcher „mit jeglicher Bedeutung aufgeladen werden könne“. Wie lange dauert es also, bis die Euphorie um den Kanzlerwechsel nachlässt, die Fassade kracht und die Maske fällt? Die Frisur sitzt jedenfalls. Noch.