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Gespräch N° 14 | Kabinett

Sophie Karmasin

„Familienfreundlichkeit ist ein Wettbewerbsfaktor“

Hat Österreich keine Lust mehr auf Kinder? Familien- und Jugendministerin Sophie Karmasin im Gespräch über pessimistische Kinderwünsche, Ballspielen im Park und Kinderspielzeug in Unternehmen.
Dieses Gespräch führte Muamer Bećirović und erschien am 17. April 2016, fotografiert hat Karin Marcik.
Muamer Bećirović
Vorab, Frau Ministerin: Ich sehe gerade, über ihrem Tisch hängt ein Bild von einem Kind. Wieso?
Sophie Karmasin
Erstens: Familie ist das wichtigste im Leben. Zweitens: Das Bild kommt aus meinem alten Büro und erinnert mich an meine Vergangenheit. Und drittens hat das Bild eine gute Freundin gemalt.
Muamer Bećirović
Obwohl Österreich im internationalen Vergleich sehr viel Geld für Familien ausgibt, hat unser Land eine Geburtenrate von nur 1,4 Kindern pro Frau. Wie lässt sich das eigentlich erklären? Haben wir etwa keine Lust mehr auf Kinder?
Sophie Karmasin
Die Gründe warum Menschen Kinder bekommen oder nicht sind vielfältig.. Das hat mit verschiedensten Rahmenbedingungen zu tun, wie beispielsweise der Paarbeziehung, der Kinderbetreuung und den finanziellen Möglichkeiten. Hier sind also mehrere Aspekte zu beachten. Im internationalen Vergleich wenden wir viel öffentliches Geld für Familien auf, etwa die Familienbeihilfe oder das Kinderbetreuungsgeld. Insgesamt investieren wir pro Jahr rund 7 Milliarden Euro für Familienleistungen. Und durch die hohen Geldleistungen geben wir den Familien sehr viel Eigenverantwortung wie das Geld verwendet wird. Jetzt könnte man fragen: Was wäre, wenn wir das anders machen würden? Durch den internationalen Vergleich wissen wir, dass jene Länder, die mehr Sachleistungen, wie mehr Kinderbetreuung und mehr Infrastruktur statt Geldleistungen anbieten, auch eine höhere Geburtenrate aufweisen. Diese Erkenntnis haben auch wir in Österreich vor zwei Jahren gewonnen. Wir setzen nun mehr auf Sachleistungen, wie der Ausbau der Kinderbetreuung oder das Gratis-Kindergartenjahr.
Muamer Bećirović
Wie kommt es, dass die österreichische Bevölkerung eine scheinbar starke Abneigung gegen den Kinderwunsch hegt?
Sophie Karmasin
„Abneigung“ würde ich nicht sagen. Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass der Kinderwunsch und die Familiengründung auf der Liste der Lebensziele vieler Menschen ganz, ganz weit oben steht. Für über 90 Prozent ist es das Wichtigste im Leben überhaupt, Kinder zu bekommen und großzuziehen. Das heißt jedoch nicht, dass wir deswegen all die Kinder bekommen, die wir uns wünschen. Konkret wünschen wir uns nämlich durchschnittlich zwei, bekommen aber tatsächlich nur 1,4. Furchtbar, diese Statistik bei Kindern. Das heißt, einfach gesagt, dass wir nicht alle Kinder realisieren, die wir uns wünschen.
Muamer Bećirović
Und warum nicht?
Sophie Karmasin
Das hat verschiedenste Gründe. Einer der Gründe ist eine pessimistische Sicht auf die Familiengründung und das erste Kind. Da stellt man sich zum Beispiel die Frage des Wiedereinstiegs in den Beruf.
Muamer Bećirović
Denken Sie nicht, dass das etwas mit der Mentalität der Österreicher zu tun hat? So kommt es, dass meine Freunde es oft kaum erwarten können, auszuziehen, Kinder zu bekommen und selbständig zu sein. Außerdem habe ich beobachtet, dass es in Österreich verpönt ist, wenn Kinder in der Öffentlichkeit, zum Beispiel im Park Ball spielen. Da öffnet die nächste Pensionistin sofort das Fenster und schreit die Kleinen an, dass Ballspielen hier verboten wäre.
Sophie Karmasin
Wir haben definitiv Nachholbedarf, was die öffentliche Wahrnehmung von Kindern und Familien betrifft. Wenn es einmal laut oder schmutzig mit den Kindern wird, dann wird es uns zu viel. Familie wird in Österreich nur stärker in den eigenen privaten vier Wänden praktiziert und geortet, während Familie anderswo viel mehr außerhalb der Wohnung gelebt wird und die Akzeptanz im öffentlichen Raum dort auch anders aussieht. In Österreich sieht man die Familie als privat an, und sie ist auch sehr stark mit der Assoziation „Frauen“ verbunden, wie zum Beispiel das Bild der Mutter. Die Väter bekommen erst seit kurzem mehr Wahrnehmung, was den Bezug zur Familie betrifft. Mein Vision ist es ja, dass Österreich das familienfreundlichste Land Europas wird und dafür muss eine Bewegung durch unser Land gehen – eine Familienbewegung.
Muamer Bećirović
Sie wollen mehr Sachleistungen als Geldleistungen, obwohl sie von einer Partei zur Ministerin ernannt worden sind, die Geldleistungen immer den Sachleistungen vorzieht. Wie erklären Sie das Ihren ÖVP-Kollegen?
Sophie Karmasin
Erstens bin ich parteifrei und zweitens tue ich das Notwendige für die Familien – sei es, die Geburtenrate zu erhöhen, die Wahrnehmung der Familie zu verbessern oder die Rahmenbedingungen für ein besseres Zusammenleben zu schaffen. Ich tue das, was für die österreichischen Familien das Beste ist. Und da halte ich mich an Zahlen, Daten und Fakten.
Muamer Bećirović
Dann frage ich anders: Ziehen Sie persönlich Sachleistungen den Geldleistungen vor?
Sophie Karmasin
Nein. Ich bin dafür, mehr in Familien zu investieren und zwar in Form von Sachleistungen. Ich will aber auch keine Geldleistungen kürzen.
Muamer Bećirović
Geht es da nicht auch um eine gewisse Balancefindung bei den Leistungen? Darum steht es momentan nämlich nicht so gut.
Sophie Karmasin
Ja, wir haben derzeit 80 Prozent Geldleistungen und 20 Prozent Sachleistungen. Das Ziel ist, dass wir durch die Aufstockung der Mittel eine Balance finden.
Sophie Karmasin

© Karin Marcik

Muamer Bećirović
2060: Ein Drittel der Menschen wird in Pension sein. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Sophie Karmasin
Natürlich mache ich mir Sorgen. Ich lese gerne Umfragen, und junge Menschen haben starke Zweifel, dass das System ihnen jemals eine Pension zur Verfügung stellen wird. Die Jungen haben hier auch ein recht gutes Gespür: Wenn wir uns die Entwicklungen ansehen, dann wissen wir, dass wir mit jüngsten Jahren im Europaschnitt in Pension gehen. Wir geben extrem viel aus, was schwierig wird in Zukunft.
Muamer Bećirović
Ihr Job ist es also, die Geburtenrate zu erhöhen?
Sophie Karmasin
Nein, mein Ziel ist es, Österreich zum familienfreundlichsten Land Europas zu machen. Da gehört auch dazu, die Geburtenrate bis zu einem gewissen Grad zu steigern. Aber auch viele weitere Faktoren: Wir haben ein Familien-Monitoring erstellt, in dem wir anhand von zehn Faktoren erkennen können, wie sich die Familiensituation in Österreich entwickelt. Ja, einer dieser Bereiche ist die Geburtenrate, und diese steigt übrigens auch. Kinderbetreuungsplätze wären ein weiterer Bereich, auch diese steigen. Letztes Jahr hatten wir eine große Bauoffensive: 8.000 neue Plätze konnten wir da schaffen. Die Väterbeteiligung ist auch im Monitoring erhalten, wir messen sie etwa dadurch, wie viele Väter in Karenz gehen. Diese Rate steigt auch.
Muamer Bećirović
Was denken Sie persönlich, ist der Grund dafür, dass Menschen in ärmeren Ländern tendenziell mehr Kinder bekommen, als es in reicheren Ländern der Fall ist?
Sophie Karmasin
Auch hier wird es keine eindimensionale Antwort geben. Es kommt auf die Kultur im Land an, aber es ist auch die Frage des Wohlstandes. In vielen armen Ländern, wo es eine hohe Geburtenrate gibt, sind Kinder eine Methode der Altersvorsorge, oder der Hoffnung, finanzielle Absicherung zu haben. Wenn wir an Europa denken – Frankreich zum Beispiel, welches eine höhere Geburtenrate als Österreich hat – hängt es stärker damit zusammen, ob es möglich ist, Familie und Beruf zu vereinbaren. Und, natürlich, ob es die nötige Infrastruktur und soziale Akzeptanz dafür gibt.
Muamer Bećirović
Sie erwähnen die Vorsorge, die wohl ein recht egoistischer Grund wäre, ein Kind zu bekommen. Ist es in wohlhabenden Ländern denn nicht auch so? Letzten Endes macht doch jeder zumindest eine Pro-und-Contra-Liste im Kopf, wenn er Kinder bekommen will.
Sophie Karmasin
Die Pro-und-Contra-Liste sieht in Österreich so aus, dass Menschen zwar schätzen, dass Kinder viel Geld kosten und man tendenziell in eine lange Ausbildung investieren muss, also eine lange Unterstützung der Kinder notwendig ist. Die Erwartung, die Kinder würden oder müssten einen im Alter erhalten, ist aber nicht da. Das war einmal so, ist heute aber nicht mehr der Fall. Insgesamt denke ich aber, dass Eltern sehr intuitiv über das Kinderbekommen entscheiden und keine „Pro-Contra-Listen“ erstellen.
Muamer Bećirović
Dann anders gefragt: Muss Österreich ärmer werden, damit es mehr Kinder bekommt?
Sophie Karmasin
Nein, um Gottes Willen, wir wollen ja unseren Lebensstandard halten. Was wir brauchen, ist eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein größeres Angebot an Lebensoptionen in Österreich. Das ist eine Schlüsselfrage. Wichtig ist, sowohl die Väter für die Beteiligung am Kind zu motivieren – die wollen das ja auch -, andererseits auch, der Frau zu helfen, ihre gute Ausbildung im Beruf umsetzen zu können, und einen Job auszuüben, der ihr Spaß macht und es ihr ermöglichst, ihr eigenes Geld verdienen zu können. Das traditionelle Bild ist sehr stark davon geprägt, dass der Vater für das Geld zuständig ist und die Mütter für die Kinder, was ein sehr eingeschränktes Familienbild ist. Mein Zugang dazu ist, dass wir allen Menschen die Möglichkeit bieten sollen, ihr Familienleben so zu führen, wie sie es gerne möchten, ohne irgendwelche Sanktionen und Einschränkungen.
Muamer Bećirović
Würden Sie den Unternehmen aufoktroyieren, familienfreundlicher sein zu müssen? Es liegt doch in der Natur eines Unternehmers, dass er nach einer Arbeitskraft sucht, die Familie ist da doch mehr oder weniger ein Hindernis.
Sophie Karmasin
Aufzwingen würde ich es ihnen sicherlich nicht. Ich war 20 Jahre lang Familienunternehmerin und ich weiß, dass es mit Bestrafungen nicht funktioniert. Man muss die Unternehmen überzeugen, dass Familienfreundlichkeit für sie ein Wettbewerbsfaktor ist. Darum touren wir durchs Land und erklären ihnen das.
Muamer Bećirović
Wenn sie schon touren: Wie ist denn die Einsicht der Unternehmen?
Sophie Karmasin
Großartig.
Muamer Bećirović
Wirklich?
Sophie Karmasin
Ja, sicher. Da ist keiner wirklich dagegen. Es sagt keiner, dass er so einen Blödsinn noch nie gehört hat. Zum einen gibt es dieses „Aha“ und sie verstehen dann, dass die Fluktuation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch mit der Familienfreundlichkeit zusammenhängt. Denn wenn jemand öfters fehlt, dann ist es für das Unternehmen verlorenes Geld. Wie auch immer: Es ihnen zu erklären, ist einfach. Die Umsetzung ist dann eine höhere Hürde, aber es funktioniert, jeder findet seinen Stil.
Muamer Bećirović
Sie konnten wirklich einige Unternehmen davon überzeugen?
Sophie Karmasin
Ja, natürlich! Wir haben vor einem Jahr das Netzwerk »Unternehmen für Familien« gegründet. Mehr als 220 Unternehmen mit insgesamt rund 400.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind seither beigetreten und haben sich zu familienfreundlichen Maßnahmen in ihrem Unternehmen committed. Es gibt großartige Best-Practice Beispiele: in Niederösterreich hat ein Unternehmen ein Eltern-Kind-Büro eingerichtet, mit Spielzeug und dergleichen. Wenn die Betreuung zu Hause einmal ausfällt, kann man auf dieses Eltern-Kind-Büro zugreifen. Das ist doch super, oder?