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Gespräch N° 12 | Kabinett

Asdin El Habbassi

„Haben den Drang, uns weiterzuentwickeln, längst verloren“

Jungpolitiker und ÖVP-Nationalratsabgeordneter Asdin El Habbassi klagt im Gespräch über Schuldenberge und spricht sich gegen Spekulationsverbote und eine „Jungenquote“ in der Politik aus.
Dieses Gespräch führte Muamer Bećirović und erschien am 23. März 2016, fotografiert hat Dersim Cakmak.

Muamer Bećirović
Im Jahr 2002 hat man junge Menschen befragt, wie sehr sie an Politik interessiert sind. 70 Prozent haben gesagt, dass sie mit Politik wenig bis gar nichts anfangen können. Ist die jüngere Bevölkerung wirklich politikverdrossen?

Asdin El Habbassi
Bei solchen Befragungen kommt es sehr stark auf die Methode der Fragestellung an. Wenn man junge Leute, fragt ob sie sich für Politik interessieren, dann denken sie an Menschen mit Anzug und Krawatte, die Wörter verwenden, die sie selbst nicht verstehen, viel reden und nichts tun. Und wenn man diese Bilder im Kopf hat, ist es auch verständlich, wenn 70 Prozent sagen, dass sie das nicht interessiert.
Muamer Bećirović
Und Ihre Erfahrung damit?
Asdin El Habbassi
Wenn man mit jungen Leuten darüber spricht, was sie tagtäglich beschäftigt, egal ob es um Bildung, Sportangebote oder Rechte am Arbeitsmarkt geht, dann interessieren sie sich schon sehr stark dafür. Das ist aber auch alles Politik.
Muamer Bećirović
Wie viele Jugendliche kennen Sie denn, die tagtäglich Zeitung lesen und die Politik mitverfolgen? Meiner Meinung nach sind das sehr wenige. Ich wage zu behaupten, dass das Interesse deshalb so gering ist, weil es uns zu gut geht und wir uns hierzulande mit diesen Belangen nicht zwingend auseinandersetzen müssen.
Asdin El Habbassi
Wir leben in einer Gesellschaft, wo ich alles bekomme, einer sogenannten „Full Service“ Gesellschaft. Uns geht es tatsächlich sehr gut. Wir haben wenige Probleme, die wir selbst am Leib verspüren, und genau das macht es so schwierig. Die Herausforderungen, die wir in der Politik haben, passen nicht mehr in den Alltag der meisten Menschen. Ich rede beispielsweise vom Schuldenproblem oder etwa der Finanzierung des Gesundheitssystems. Diese Sachen haben keine direkten Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Deshalb ist es für Junge als auch für Ältere schwer zu verstehen, welchen Einfluss Politik tatsächlich auf ihr Leben hat. Wenn dieser Einfluss nicht spürbar ist und keine Verbundenheit mit dem Alltag da ist, dann wird sie wenig greifbar.
Muamer Bećirović
Heißt das, dass unser Interesse an der Politik am Größten ist, wenn es uns schlecht geht?
Asdin El Habbassi
Mit Sicherheit ist das so. Dann, wenn ich keinen Bus mehr habe, der mich zur Schule bringt, dann, wenn ich keinen Arbeitsplatz mehr finde, und dann, wenn ich im Krankenhaus nicht mehr behandelt werde, dann schreie ich „Politik, bitte mach was!“. Die Politik soll ja Probleme lösen, aber wenn sie nicht im Alltag stattfindet, dann wird sie auch weniger wahrgenommen.
Asdin El Habbassi

© Dersim Cakmak

Muamer Bećirović
Kommen wir zur Generationsgerechtigkeit: Ich würde einmal behaupten, es ist nicht so problematisch, wenn die Gläubiger, bei denen der Staat Schulden macht, sich im Inland befinden. Schwierig wird es dann, wenn die Gläubiger nicht im Inland sind. Griechenland ist auf 130 Prozent seines BIPs verschuldet, Österreich liegt bei 90%, Tendenz steigend. Eigentlich hauen wir so richtig auf den Putz, was die nächsten Generationen angeht. Werden wir diese Schulden je drosseln können?

Asdin El Habbassi
Das ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die es schon sehr lange gibt. Wir haben diese nie wirklich reflektiert, weil wir immer ein gesundes Wirtschaftswachstum hatten. Wir leben prinzipiell in einer Gesellschaft, die auf Pump und auf Kredit lebt. Unser Wirtschaftswachstum, unser Marktsystem, unsere Arbeitsplätze, unser Staatshaushalt, alles basiert immer auf Schulden. Das beginnt bei Haftungen, die von Ländern aufgenommen werden und für deren Deckung es es gar keine Mittel gibt. Und endet beim Durchschnittsbürger, der sich ein iPhone leistet, indem er einen höheren Tarif bezahlt. Auch das ist ein Kredit. Das betrifft nicht nur die Politik. Wir lernen von klein auf, dass wir Sachen auf Raten zahlen, und das ist nicht nichts anderes als ein versteckter Kredit. Dasselbe Muster haben wir in Staatshaushalten übernommen.

Muamer Bećirović
…Im Bereich der Zuschüsse für die Pensionen sieht man das ziemlich gut…
Asdin El Habbassi
Wenn sich die Zuschüsse für Pensionen aus dem Budget nicht mehr ausgehen, dann schießen wir trotzdem zu und nehmen weitere Schulden auf und hoffen darauf, dass wir diese Schulden eines Tages begleichen werden können. Das Problem, das ich sehe, ist, dass diesem Muster ein keynesianischer (Anm.: de.wikipedia.org/wiki/Keynesianismus) Zugang zugrunde liegt, d.h. eine Ankurbelung der Wirtschaft in konjunkturell schwachen Zeiten durch staatliche Investitionen. Das finde ich grundsätzlich nicht schlecht. Aber man muss Keynes auch fertig umsetzen, indem man dann, wenn die Wirtschaft floriert, die staatlichen Ausgaben zurücknimmt und die Einkünfte durch Steuern dazu verwendet, um seine Schulden zu tilgen. In der Praxis hat dies eben noch nie funktioniert, und das ist ein Problem, mit welchem wir zu kämpfen haben. Wir finanzieren uns auf die Kosten der nächsten Generationen, damit muss irgendwann Schluss sein.
Muamer Bećirović
Ziehen wir ein Resümee: Wir nehmen Kredite auf, um das jetzige Dasein zu finanzieren und exekutiert wird das Ganze an den nächsten Generationen.
Asdin El Habbassi
In Wahrheit steckt da auch noch ein ganz anderes Problem dahinter: Wir schaffen damit unzählige Blasen. Wenn ich Wirtschaftswachstum auf Kredit baue, und im Zuge dieses Wirtschaftswachstums Unternehmen wieder auf Kredit investieren, deren Kunden auf Kredit deren Produkte kaufen, dann entstehen da Volumen, die durch keinen Wert mehr abgedeckt und nie wieder auf reale Werte zurückgeführt werden können. So platzen alle paar Jahre einige dieser Blasen, und dann muss der Staat diese Branchen stützen. Oder ein Land, das Bankrott geht, und dann einen Schuldenschnitt braucht.
Muamer Bećirović
Politiker sind immer mehr von Wahlen abhängig. Wenn ich als Politiker den Gürtel enger schnallen soll, dann werde ich in der Regel dafür abgewählt, folglich muss ich zwangsläufig auf Pump und Kredit haushalten. Ist es ein Fehler in der Demokratie, dass es nicht möglich ist, generationengerechte Politik zu machen?
Asdin El Habbassi
Politik darf man nicht an der Wiederwahl messen, sondern an den Auswirkungen auf die Gesellschaft. Eine Politik, die darauf aus ist, einen sauberen Haushalt zu führen, kann mehrheitsfähig sein, aber in den meisten Fällen wird man damit rechnen müssen, dass man dafür abgestraft wird. Denn immer dann, wenn man den Gürtel enger schnallt, gibt es Leute, die weniger haben als vorher, und das wird selten gutiert. Ich glaube, dass, wenn man es ehrlich macht und transparent aufsetzt, das möglich und sinnvoll sein kann.
Muamer Bećirović
Wir zahlen alleine an Zinsen ca. 8,3 Milliarden Euro zurück, der Zinseszins ist hier wahrscheinlich nicht miteinberechnet. Das nimmt doch absurde Maße an, wenn man sich ansieht, um welche Millionen manchmal gestritten wird. Da sind diese doch verhältnismäßig Peanuts.

Asdin El Habbassi
Wir streiten im Bildungsbudget um 30 Millionen, bei anderen essentiellen Dingen geht es um 40 Millionen und wir verpulvern parallel dazu Jahr für Jahr über 8 Milliarden Euro für Zinszahlungen. Ich sage, dass es allerhöchste Zeit ist, in diesem Bereich etwas zu tun. Würde man es schaffen, den Schuldenstand leicht zu reduzieren, dann würden wir alleine durch die Einsparungen bei den Zinszahlungen in vielen Bereichen problemlos investieren können. Auch mit Nachzieheffekten, die sich positiv auf den Haushalt auswirken.

Muamer Bećirović
Stichwort Pensionen: Sind unsere Pensionen wirklich sicher? Wenn ich junge Leute befrage, dann ist hier viel Vertrauen in den Staat da, der es „schon richten wird“. Junge Leute, die sich mit Politik beschäftigen aber sagen mir, dass man die Pensionen der heutigen Jungen vergessen kann.

Asdin El Habbassi
Ich habe auch den Eindruck, dass junge Menschen, die sich damit beschäftigen, eher an einen Lotto Sechser glauben als an eine Pension, wie sie die heutigen Pensionisten haben. Ich glaube, dass es hier eine große Unsicherheit gibt, viele Leute vertrauen darauf, dass es weiterhin eine staatliche Pension in einem kleineren Ausmaß geben wird. Zurecht. Der Staat sichert natürlich das Pensionssystem und das ist gut so. Die Frage ist ob es Aufgabe des Staates sein soll ein ordentliches Auskommen im Alter zu sichern oder den individuellen Lebensstandard. Wenn wir da nicht umdenken ist es nur eine Frage der Zeit, dass es massive Einschnitte geben wird, oder das System eines Tages gar zusammenkracht. Dazu sollten wir es nicht kommen lassen.

Asdin El Habbassi

© Dersim Cakmak

Muamer Bećirović
Wieso haben Politiker nicht den Mut, Klartext zu sprechen? Im Bereich der Pensionen ist es doch nötiger denn je.

Asdin El Habbassi
Immer wieder sprechen das Abgeordnete oder Minister aus. Dann gibt es wiederum Abgeordnete oder Minister, die das Gegenteil behaupten und sagen, dass alles super ist und alles hinhaut. In Salzburg wird gerade gezeigt wie es geht. Hier haben haben wir einen Finanzlandesrat, der klipp und klar sagt, was sich ausgeht und was nicht oder etwa mit welchen finanziellen Problemen man nach dem Finanzskandal zu kämpfen hat. Ziel der Salzburger Regierung ist es, innerhalb der nächsten zwei Jahre ein Nulldefizit zu erreichen und dann auch wieder Schulden abzubauen. Das finde ich vorbildlich. Leider fehlt vielen Akteuren in der Bundespolitik oft der Mut, die Sachlage klipp und klar auszusprechen, und vor allem, die Dinge Schritt für Schritt abzuarbeiten, anstatt bloße Ankündigungspolitik zu betreiben. Denn wenn man bei Reformen zu lange nur Ankündigungspolitik betreibt, dann gibt es immer Kräfte, die diese Bewegung in ihrer Frühphase im Keim ersticken.

Muamer Bećirović
Ist denn die österreichische Politik zu schwach in ihrem Durchsetzungsvermögen?

Asdin El Habbassi
Meine Erfahrung ist, dass wir in einem politischen Konstrukt leben, in dem ein starker Finanzminister, ein starker Bundeskanzler, selbst eine starke Regierung alleine nicht in der Lage ist, wesentliche Reformen umzusetzen. Dieses Problem ist durch die Komplexität des Systems bedingt. Ich meine, dass auch der Einfluss der Sozialpartner, die in der Vergangenheit große Errungenschaften hervorgebracht haben, mittlerweile oft dazu beiträgt, dass grundlegende Reformen kaum bis schwer umsetzbar sind.

Muamer Bećirović
Bräuchte es denn eine Evolution oder gar eine Revolution des Systems?

Asdin El Habbassi
Es bräuchte wieder ein Zurück der tatsächlichen Entscheidungskraft zu der handelnden Politik, sprich zu Parlament und Regierung.

Muamer Bećirović
Ist das denn unter Sozialdemokratie und Christlich Sozialen möglich? Mir kommt vor, als ob diese beiden Pole nur verheiratet sind, weil man dem jeweils anderen nicht gönnt, wieder Single zu sein.
Asdin El Habbassi
Ich glaube eher, die beiden sind verheiratet und wünschen sich beide, wieder Single zu sein. Es ist nur so, dass sich beide schwer tun, loszulassen. Macht und Einfluss gibt man nur schwer auf. Die Größe der Politik wird sich in Zukunft daran messen, wie sehr man bereit ist, für das Land Macht und Einfluss loszulassen und nicht versucht, krampfhaft daran festzuhalten.
Muamer Bećirović
Um in Österreich generationengerechtere Politik zu machen, bräuchte es mehr Macht der Politik selbst, oder gar eine Zentralisierung …
Asdin El Habbassi
… keine Zentralisierung, sondern mehr Entscheidungsmöglichkeit in der Politik selbst und eine Abkehr vom System der großen Koalition, dem Aufteilen der Republik in eine rote und eine schwarze Reichshälfte.
Muamer Bećirović
Wärst denn du als Junger für ein verfassungsrechtliches Spekulationsverbot mit Steuergeldern?

Asdin El Habbassi
Grundsätzlich ja. Das Problem, dass ich dabei sehe, ist die Definition von Spekulation. Wer sich mit Finanzierung auskennt, weiß, dass man bei jeder Form einer Anlage ein gewisses Restrisiko hat. Das würde bedeuten, dass man als Staat oder öffentliche Einrichtung kein Risiko eingehen darf und das ist praktisch unmöglich.

Muamer Bećirović
Aber jeder weiß doch, wann man zockt, und jeder weiß, wie hoch nun das Risiko ist, das eingegangen wird, wenn man Geld irgendwo reinsteckt.
Asdin El Habbassi
Ein Beispiel: Wenn ich mich als Familienvater dafür entscheide, ein Haus auf Kredit zu kaufen, dann spekuliere ich genauso darauf, dass ich in 30 Jahren einen Job bzw. ein Einkommen haben werde um die Raten zu tilgen. Dasselbe gilt für den Staatshaushalt. Wenn ich beispielsweise Investitionen tätige oder Förderungen ausgebe um den Wirtschaftsstandort zu stärken und hoffe diese Mittel durch zusätzliche Steuereinnahmen wieder herein zu spielen, dann weiß ich nicht zu hundert Prozent, ob der gewollte Effekt eintritt oder nicht. Fällt das dann auch unter Spekulation? Es gibt immer ein Restrisiko, und das kann schlagend werden, dessen muss man sich nur bewusst sein.
Muamer Bećirović
Eine Grundsatzfrage: Ist es denn die Aufgabe des Staates, Geld zu generieren? Wieso legt ein Staat in Finanzpapieren Geld an? Das ist doch nicht die Aufgabe eines Staates, oder?

Asdin El Habbassi
Man muss sich die Überlegungen dahinter anschauen: Man hat durch den Gewinn aus Wertpapieren Investitionen finanziert. Seien es Krankenhäuser, Schulen, alle Dinge die der Bürger will und worüber sich der Bürger immer gefreut hat. Man muss bedenken, dass das jahrelang funktioniert hat, dass man zusätzliche Mittel erwirtschaftet hat und diese Mittel dann zum Wohle des Bürgers geflossen sind. Da hat sich niemand beschwert – im Gegenteil, es wurde teilweise sogar von Experten empfohlen. Ich glaube, dass die Aufgabe des Staates ist, das Risiko zu minimieren, möglichst konservativ zu agieren und dazu gehört aber auch, dass man möglichst nicht mehr ausgibt, als man einnimmt. Weil jedes Überziehen, jedes neue Aufnehmen von Schulden ist ein Spekulieren auf eine Wirtschaftsleistung oder auf höhere Einnahmen in der Zukunft. Wenn mit „spekulieren“ das traden mit risikoreichen Finanzinstrumenten gemeint ist, dann bin ich sofort für ein Spekulationsverbot. Die eigentliche Grundidee vieler Finanzinstrumente ist Risiko zu minimieren oder leichter kalkulierbar zu machen. Die meisten Instrumente, die da oft verteufelt werden, haben eigentlich einen Nutzenfaktor. Pervertiert wird das Ganze aber, wenn Gier dazukommt. Da geht es immer um Menschen, um persönliche Egos und Eitelkeiten, darin liegt die größte Gefahr.

Muamer Bećirović
Wenn ich mir Ihre Lösungsvorschläge zum Pensionsdebakel ansehe, dann sind diese auch kein großer Umbruch. Unser Pensionssystem ist so konstruiert, dass mehrere Einzahler den Pensionisten finanzieren. Aufgrund der demographischen Entwicklung werden die Einzahler immer weniger und die Herausnehmer bzw. Pensionisten immer mehr. Nur das Pensionsantrittsalter zu erhöhen wird nicht ausreichen.

Asdin El Habbassi
Es ist nicht die einzige Lösung, das stimmt. Man kann durchaus sagen, dass sich der Staat darum kümmern soll, dass die demographische Entwicklung durch die Zuschüsse des Staates abgefedert wird. Auf der anderen Seite muss ich mich fragen, wie ich den Gesamthaushalt aufsetze. Es kann nicht sein, dass der Gesamthaushalt gleich bleibt und man immer mehr ausgibt, als man hat. Fakt ist, dass wir die staatlichen Zuschüsse zu Pensionen nicht ausufern lassen dürfen. Was schon viel bringen würde, wäre zu fragen, wie hoch die statistische Lebenserwartung ist. Daran sollten wir die Anzahl der verpflichtenden Erwerbsjahre koppeln.

Asdin El Habbassi

© Dersim Cakmak

Muamer Bećirović
Denken Sie, dass es einen baldigen Umbruch im Denken geben wird? Oder denken Sie, dass wir erst dann lernen, wenn wir bereits an die Wand gefahren sind? Wenn wir weiterhin so viele Schulden machen, dann sind wir in spätestens 30 Jahren dort, wo Griechenland heute ist.
Asdin El Habbassi
Man muss sich zuerst genauer darüber informieren, was in Griechenland passiert ist. Da hat man wirklich überall Ausgaben gekürzt, die auch wirklich stark spürbar sind und die breite Masse überproportional treffen. Jetzt werden dort die Versäumnisse einiger Generationen auf eine Generation abgeladen. Das ist ein Szenario, das uns auch früher oder später treffen wird, wenn wir nicht gegensteuern, das muss man den Menschen immer bewusst machen. Wenn es nach unserem Gefühl immer nur eine Generation gibt und diese folglich keinen Leidensdruck verspürt, irgendetwas zu ändern, dann wird sich nichts ändern. Ab dem Zeitpunkt, wo Leistungen gekürzt werden müssen und eine höhere Arbeitslosigkeit da sein wird, werden wir das allerdings mit sozialen Unruhen büßen und damit den grundsätzlich sehr guten sozialen Frieden in Österreich aufs Spiel setzen müssen.
Muamer Bećirović
Machen Sie sich denn Sorgen um den sozialen Frieden?

Asdin El Habbassi
Wenn wir es nicht schaffen, die großen Probleme, die auf uns zukommen, zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, dann mache ich mir schon große Sorgen. Ich habe aber Hoffnung in unser demokratisches Verständnis, das hier gegenlenken wird. Wir müssen aber in ganz andere Dimensionen denken, wir denken in Europa meist nur in sehr begrenzten nationalen Rahmen. Es bewegen sich zurzeit sehr große Dinge in China, in Indien, in den afrikanischen Staaten und dem Rest der Welt. Wir müssen wieder globaler Denken. Wenn ich beispielsweise mit Studierenden hierzulande spreche, dann fragen sie mich, was sie denn studieren sollen. Es ist bei uns ganz normal, zu studieren und sich immens viel Zeit zu dafür zu lassen, manche haben ja überhaupt keine berufliche Erfahrung. Dann schauen Sie sich einmal unsere Nachbarn östlich von uns an: Die sprechen standardmäßig zwei bis drei Sprachen. Sie alle haben den Wunsch und Willen, sich sozial weiterzuentwickeln und sind bereit, Leistung zu erbringen. Ähnlich ist es in asiatischen Ländern, wo ein riesiges Maß an Disziplin vorherrscht. Wir aber sind mittlerweile mit einem so hohen Wohlstand aufgewachsen, dass wir den Drang, uns weiterzuentwickeln oder etwas zu leisten, längst verloren haben. Dies kann gefährlich sein, weil wir damit unseren substantiellen Standortvorteil, den wir jahrzehntelang gegenüber anderen Regionen gehabt haben, aufs Spiel setzen. In weiterer Folge haben wir also nicht nur das Problem, dass eine Arbeitskraft in anderen Ländern günstiger ist, sondern dass deren Know-How auch signifikant höher ist und der Standort woanders zudem weitaus attraktiver. Wenn wir unseren Vorsprung also nicht nutzen, haben wir in naher Zukunft ein großes Problem.

Asdin El Habbassi

© Dersim Cakmak

Muamer Bećirović
Bevor ich zu Ihnen gefahren bin, habe ich mir einige Aussagen des deutschen Altkanzlers Helmut Schmidt durchgelesen. Einige Aspekte fand ich darin sehr interessant: Er sagt, dass ein „BOSCH“-Manager damals durchaus mehr verdient hat als sein Durchschnittsangestellter, heute allerdings verdienen Manager exorbitant mehr als deren Angestellte. Man hat das Gefühl, die Führungsriege würde ihren Bezug zu Angestellten verlieren. Das ist doch eine Entwicklung, die wir uns von den Briten und an den Amerikanern abgeschaut haben. Müssen wir uns denn der Globalisierung anpassen?

Asdin El Habbassi
Da muss man differenzieren. Das Gehalt eines Managers mag um das Zehnfache, teilweise vielleicht sogar um das Hundertfache höher sein als das eines Arbeiters, aber das ist kein entscheidendes Problem. Ich sehe eine Herausforderung der Globalisierung darin, dass mittlerweile mulitinationale Konzernstrukturen haben, die sehr weite Teile der Wirtschaft und beeinflussen und ein normaler Wettbewerb, wie wir ihn kennen, immer schwieriger wird. Der Einfluss der Politik wird schwächer und die mancher Konzerne größer werden. Das kann zu einem ungesunden Verhältnis von Wirtschaft und Politik führen. Darum halte ich es für wichtig, wieder in kleinere, regionalere Strukturen zu investieren, etwa nach dem Motto „small is beautiful“. Regionale Strukturen, die aber sehr global vernetzt agieren und die Dinge im Blick haben.

Muamer Bećirović
Wenn wir uns ehrlich sind, Herr Abgeordneter, dann ist das Problem doch demokratisch schwer lösbar. Darüber habe ich bereits mit Dr. Karl Heinz Töchterle philosophiert, der meinte, dass er keine Macht sieht, die diese Entwicklung bändigen könnte.
Asdin El Habbassi
Ich sehe aber die Verantwortung, dass jeder Bürger sich damit auseinandersetzen und darauf Einfluss nehmen muss. Die Geschichte hat doch gezeigt, dass zu große Konstrukte immer wieder in kleinere zerfallen sind.
Muamer Bećirović
Würden Sie sagen, dass wir uns in den spannendsten Zeiten des 21. Jahrhunderts befinden?
Asdin El Habbassi
Spannend wird es in nächster Zeit auf jeden Fall. Wir denken nur zu selten darüber nach, was in einigen Jahrzehnten ablaufen wird. Da werden Fahrzeuge miteinander kommunizieren und Dinge, die wir leiten, werden wahrscheinlich selbständig agieren können. Die technischen Entwicklungen, die gerade passieren, werden unser Leben komplett auf den Kopf stellen.
Muamer Bećirović
Kommen wir wieder zurück zur Politik: Ihre Partei, die ÖVP, hat doch eine Frauenquote. Was würden Sie von einer „Jungenquote“ in der Volkspartei halten?
Asdin El Habbassi
Ich bin grundsätzlich kein Freund von Quoten.  Sie sind ein Mainstream, der sich immer mehr durchsetzt, aber ich glaube, dass Quoten eigentlich gar nicht zur Qualitätsverbesserung in der Politik beitragen.
Muamer Bećirović
Wenn ich aber weiß, dass ich verkorkste Strukturen habe und sich jemand durchsetzt, weil er oder sie länger „dabei“ ist und das System besser kennt, während ich mich als Junger nicht innerparteilich durchsetzen kann, dann wäre eine Quote gar nicht einmal so schlecht, oder?

Asdin El Habbassi
Du wirst das Problem damit nicht lösen. Wenn jemand das System besser kennt als du, dann wirst du sowieso immer verlieren. Da kann eine solche Quote auch nichts ändern. Die politische Macht entsteht nun einmal durch funktionierende Netzwerke oder durch Entscheidungskompetenzen, worin man Einfluss nehmen kann. Organigramme sind in der Politik irrelevant. Es gibt politische Mitarbeiter, die weitaus mehr Einfluss haben als so manches Regierungsmitglied. Im Beamtenbereich ist das genauso: Wenn man sich ansieht, wer die Steuerreform verhandelt hat, dann war das nicht der Bundeskanzler und der Vizekanzler, sondern in erster Linie ein hoher Funktionär der Arbeiterkammer mit einem Sektionschef aus dem Finanzministerium. Man kann durch Quoten nie echten Einfluss ersetzen.

Muamer Bećirović
Aber ist es in Ordnung, Menschen nach ihrem Alter zu beurteilen?

Asdin El Habbassi
Wenn du besser bist, ist dein Alter irrelevant. Wenn dein Einfluss, dein Netzwerk größer ist, dann ist und bleibt dein Alter egal, auch das Geschlecht ändert hier nichts. Davon bin ich hundertprozentig überzeugt.
Asdin El Habbassi (28) wurde in Hallein geboren und studierte Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Salzburg. Seit 2012 ist er der Landesobmann der Jungen Volkspartei (JVP) in Salzburg sowie deren stellvertretender Bundesobmann, seit 2013 ist er Abgeordneter zum Nationalrat für die ÖVP.