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Gespräch N° 5 | Kabinett

Markus Figl

„Menschen wollen gerne Veränderung, solange es sie nicht selbst betrifft“

Markus Figl ist ÖVP-Kandidat für den Bezirksvorsteher der Inneren Stadt und spricht mit uns über die katholische Soziallehre, politische Rekrutierungsmechanismen und die Möglichkeit von ÖVP-FPÖ-Koalitionen.

Hinweis: Dieses Gespräch wurde zum angegebenen Datum ursprünglich auf muamerbecirovic.com veröffentlicht und auf Kopf um Krone übernommen.
Dieses Gespräch führte Muamer Bećirović und erschien am 22. August 2015, fotografiert hat Raphael Moser.
Muamer Bećirović
Die ÖVP besteht aus mehreren Bünden: Wirtschaftsbund, Arbeitnehmerbund, Bauernbund, Seniorenbund, Frauenbund und der Jungen ÖVP. Welchen Bund sehen Sie aufgrund Ihrer politischen Erfahrung als den mächtigsten?
Markus Figl
Die Frage kann man so nicht beantworten, wahrscheinlich sollte man das auch nicht. Der Grundgedanke der ÖVP als soziale Integrationspartei besteht darin, den gesellschaftspolitischen Ausgleich zu finden. Das betrifft auch die verschiedenen Bünde, deren Interessen gleichermaßen vertreten werden müssen. Es geht nicht darum, dass ein Bund stärker als der andere ist, sondern darum, sich bei Reformen auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen, das heißt eine „Win-Win-Situation“ zu schaffen.
Muamer Bećirović
Aber sind Reformen in diesem Bündesystem, wo jeder Bund nur sein persönliches Interesse vertritt, überhaupt noch möglich?
Markus Figl
Das glaube ich schon. Ich kann Ihnen dazu ein praktisches Beispiel nennen: Zu Zeiten Schüssels gab es Verhandlungen zur Pensionsreform, denen die Junge ÖVP, mich miteingeschlossen, und der Seniorenbund beiwohnten. Überraschenderweise herrschte damals große Einigkeit darüber, was getan werden muss. Das war ein großer Konsens innerhalb der ÖVP. Genauso gut kann mich aber auch noch daran erinnern, dass die Sozialistische Jugend an jenem Tag vor unserem Büro in der Lichtenfelsgasse stand und lauthals gegen die Pensionsreform demonstriert hat.
Markus Figl

© Raphael Moser

Muamer Bećirović
Haben Menschen zunehmend Angst vor Reformen?
Markus Figl
Das würde ich nicht ganz so sehen. Richtig ist die Tatsache, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass zu wenig weitergeht, auf der anderen Seite aber das Wort „Reform“ nicht mehr hören können, weil sie Angst haben, von einer solchen Reform selbst betroffen zu sein. Menschen wollen gerne Veränderung, solange es sie nicht selbst trifft.
Muamer Bećirović
Ich habe mich vor kurzem intensiv mit der christlichen Soziallehre beschäftigt. Könnten Sie diese, welche schließlich das „Wertefundament der ÖVP“ bildet, in einfachen Worten wiedergeben?
Markus Figl
Wenn man auf die katholische Soziallehre eingeht, dann gibt es drei wesentliche Prinzipien: Zum einen geht es um das Personalitätsprinzip, die Erkenntnis, dass jeder Mensch eine eigenständige Persönlichkeit, aber auf der anderen Seite ein Gemeinschaftswesen ist. Das ist deshalb so spannend, weil es unsere Gefühle widerspiegelt: Wir wollen weder einen totalen Individualismus, noch den puren Kollektivismus. Der Mensch braucht beides. Zweitens: Das Solidaritätsprinzip, das besagt, dass es einen Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft geben muss. Wir lehnen den Klassenkampf ab, da er einen gegen den anderen ausspielt. Und dann gibt es da noch das Subsidiaritätsprinzip, das heißt, dass Entscheidungen möglichst dort fallen sollen, wo der Einzelne betroffen ist. Dass man – vor allem politische Belange – auf der unmittelbarsten Ebene lösen sollte. Das sind die drei Prinzipien, die die katholische Soziallehre ausmachen.
Markus Figl

© Raphael Moser

Muamer Bećirović
Die meisten ÖVP-Bundesparteiobmänner waren und sind Mitglieder des Österreichischen Cartellverbands. Man sagt, der Cartellverband sei ein „Personalreservoir der ÖVP“. Können Sie dem zustimmen?
Markus Figl
Ich glaube schlicht und einfach, dass viele Leute dem Cartellverband zu Studententagen beitreten, weil sie sich diesen Werten verbunden fühlen und sich dort auch entsprechend engagieren wollen. Ich habe meine Diplomarbeit unter anderem über politische Rekrutierungsmechanismen geschrieben und kann Ihnen versichern, dass das bei allen Parteien so passiert. Um Politik zu machen, braucht man eine gewisse Vorerfahrung: So sind alle Parteiobleute in ihrer Jugend aktiv gewesen, um das politische Handwerk zu erlernen. Das muss aber nicht zwingend im Cartellverband, sondern kann auch in der ÖH oder der Jungen ÖVP passieren.
Muamer Bećirović
Wenn wir beim Thema Rekrutierung sind: Wie sieht‘s mit der ÖVP-Listenerstellung für den ersten Bezirk aus?
Markus Figl
Es gibt noch keine Liste für die Bezirksvertretungswahl im Ersten.
Muamer Bećirović
Einen Versuch war es wert. Sagen Sie mir nur Eines: Wenden Sie das neue ÖVP-Reißverschlusssystem an, dem zufolge 50 Prozent aller Listenplätze an Frauen gehen müssen? Und ist ein solcher Beschluss nicht ein Wertebruch der ÖVP? Die ÖVP ist doch die Partei, die die Leistung hochhält.
Markus Figl
Was die Listenerstellung angeht, hat bei uns selbstverständlich das Leistungsprinzip Vorrang. Jeder, der mehr als 80 Vorzugsstimmen sammeln kann, wird vorgereiht, jeder andere auf der Liste ist diesem unterworfen. Ein freier Wettbewerb sozusagen. Wenn man die Bevölkerung so abbilden will, wie sie ist, dann kommt man natürlich nicht drum herum, Frauen auch besonders zu berücksichtigen. Allerdings muss die Kompetenz auch hier berücksichtigt werden.
Muamer Bećirović
Das Prinzip „weniger Staat“ ist doch ein zentrales Kennzeichen der ÖVP. Allerdings hat sie, so scheint mir, mit ihrer Zustimmung zur Öffnung privater Konten ohne richterlichen Beschluss einen Tabubruch gewagt. Ist die ÖVP pragmatischer geworden?
Markus Figl

© Raphael Moser

Markus Figl
Ich glaube, dass wir schon immer sehr pragmatisch waren. Im Jahr 1945 zum Beispiel trat die ÖVP stark für die Verstaatlichung vieler Betriebe ein. Das hatte einen einfachen Grund: Man hatte Angst, die Betriebe würden in sowjetische Hände fallen, und das galt es zu verhindern. Daher war man damals für die Verstaatlichung. Man kann also nicht sagen, dass wir ganz gegen Verstaatlichung sind und waren. Man muss Entscheidungen eben immer im Kontext der Zeit sehen. In den 80ern und 90ern beispielsweise, als die staatliche Industrie eine große Krise hatte, konnten Privatsierungen viele Arbeitsplätze retten.
Muamer Bećirović
Eine Sache wundert mich, Herr Figl: Hat die ÖVP denn etwa gar keine ideologischen Hemmungen, mit der FPÖ zu koalieren? Eine stark nationalistische Ideologie, wie sie die FPÖ verkörpert, ist doch mit der Ideologie der ÖVP kaum vereinbar.

Markus Figl
Ganz pragmatisch betrachtet: Eine Koalition ist keine Liebesbeziehung, wo man einen Partner sucht, der eins zu eins mit einem harmoniert. Man sucht einen Partner, um sein Programm umzusetzen. Ob der Partner nun passt, wird man nur individuell und von Fall zu Fall beantworten können. Man sieht aber auch, wohin uns diese Ausgrenzungspolitik gegenüber der FPÖ gebracht hat: Die FPÖ nutzt diese Opferrolle gezielt aus und kann sich so ständig in den Vordergrund rücken.


Muamer Bećirović
Das beantwortet nicht meine Frage, wieso die ÖVP keine Hemmungen hat, mit ihr zu koalieren.

Markus Figl
Wir sind einfach ehrlicher. Wir haben immer gesagt, dass es für uns eine Möglichkeit ist, mit der FPÖ zu koalieren. Die SPÖ hat immer so getan, als würde sie die FPÖ „aus Prinzip“ ausschließen, am Fall Burgenland sieht man aber, wie ernst solche Vorsätze wirklich genommen werden.
Markus Figl (41) ist ÖVP-Obmann und Klubobmann im Ersten Wiener Gemeindebezirk sowie Spitzenkandidat für die anstehende Bezirksvertretungswahl in der Inneren Stadt. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.