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Gespräch N° 58 | Kabinett

Andreas Rabl

„Das hat jetzt mit dem Kopftuch nichts zu tun“

Klar, Vögel haben Flügel, die FPÖ habe keine, daher habe sie keine Vögel, so der Welser Bürgermeister Andreas Rabl im Gespräch mit Muamer Bećirović. Während viele der FPÖ einen Streit zwischen liberalen und nationalkonservativen Ansichten attestieren, sieht Andreas Rabl darin das Wesen seiner Partei, die vom Austausch unterschiedlicher Ansichten und Ideen lebe, sich jedoch am Ende des Tages wieder am gemeinsamen blauen Faden zusammenfindet. Es sind Ansichten und Ideen, von denen er überzeugt ist, dass sie die richtigen Antworten auf ungewisse Fragen liefern werden. Über einen sozialen Kapitalismus, eine kopftuchtragende Ärztin, die wahren klugen Köpfe des Landes und vermeintlich falsche Analysen.
Dieses Gespräch führte Muamer Bećirović und erschien am 26. Januar 2019, fotografiert haben Alexander Kaindl und Bernhard Ibl.

Podcast

Kopf um Krone – zum Zuhören.
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Andreas Rabl: „Das hat jetzt mit dem Kopftuch nichts zu tun”
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Muamer Bećirović
Herr Bürgermeister, mir stellen sich einige Fragen, wenn ich mir historisch und ideologisch die FPÖ anschaue und so wie sie gewachsen ist. Sie entstand ja aus dem VdU, der von zwei liberal eingestellten Journalisten gegründet wurde. Im Laufe der Zeit hat sie auch das nationale Lager angesprochen. Jetzt würde es mich interessieren: Aus historischer Sicht verstehe ich es ja noch, wieso es den VdU gegeben hat und im Nachhinein die FPÖ. Doch wieso engagiert man sich heute in der FPÖ?
Andreas Rabl
Die FPÖ ist eine Partei, die sich immer gegen den großen Block der Großen Koalition in Österreich positioniert hat. Diese nach dem Krieg allmächtigen Parteien, die aus den sozialistischen Parteien und aus den Konservativen hervorgegangen sind, haben in einer Großkoalition als Einheit die Republik aufgeteilt, was auch verständlich war – nach den Problemen im Ständestaat, als man aufeinander geschossen hatte. Um das zu verhindern, hat es diese Machtteilung gegeben. Die FPÖ ist da nie dabei gewesen und hat daher – zumindest überwiegend – eine Oppositionsrolle innegehabt. Diese Positionierung gegen eingefahrene Strukturen war eigentlich für mich persönlich der Grund, sich in der FPÖ zu engagieren. Aber ich glaube auch, dass dies für viele andere der Grund ist, die eine Erneuerung dieses Landes wollen. Diese geht nicht, wenn man nur auf eigene Privilegien, Funktionen, Positionen und Machterhalt wert legt.
Muamer Bećirović
Das im Sinne eines Gegenkonzerts zum rot-schwarzen Block. Wie weit hat sie sich thematisch unterschieden?
Andreas Rabl
Die thematische Unterscheidung zur Sozialdemokratie ist aus meiner Sicht dahingehend gegeben gewesen, dass wir immer mehr die Eigenverantwortung des Einzelnen im Fokus gehabt haben, wohingegen die Sozialdemokratie immer die Gemeinschaft in den Vordergrund gestellt hat und auch damit verbunden, eine gewisse Nivellierung und Gleichmacherei. Bei uns hat der Individualismus eine große Bedeutung gehabt. Der Unterschied zur ÖVP lag aus meiner Sicht sehr stark im klerikalen Element, wo die Kirche und auch die kirchlichen Überzeugungen in der ÖVP eine größere Rolle gespielt haben, die bei uns wieder weniger Bedeutung gehabt haben, dafür war aber das nationale Element, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in der FPÖ stärker, das in der ÖVP wiederum nicht diese Bedeutung hatte.
Jörg Haider ist nicht deswegen gewählt worden, weil er dem nationalen Flügel angehört hatte – dem er aus meiner Sicht im Übrigen gar nie angehört hat –, sondern weil die FPÖ sich in einer schwierigen Phase befunden hatte, kaum mehr wahrnehmbar war und die Partei daher eine Erneuerung, auch inhaltlich, wollte.Andreas Rabl über die Positionierung der FPÖ als Gegnerin der Machtaufteilung zwischen SPÖ und ÖVP
Muamer Bećirović
Es gab ja immer Zwist zwischen dem nationalen Lager und liberalen Lager in der FPÖ. Richtig durchgebrochen ist es dann mit der Abwahl von Norbert Steger und der Wahl von Jörg Haider. Wie hat sich die FPÖ seit Jörg Haider eigentlich ideologisch verändert?
Andreas Rabl
Also ich glaube, dass das zwar eine gebräuchliche Darstellung dieses Liberal-gegen-National-Konflikts und dass sich der nationale Flügel mit dem Durchbruchs Jörg Haiders durchgesetzt hätte, ist, jedoch denke ich, dass das eine völlig verfehlte Analyse ist. Jörg Haider ist nicht deswegen gewählt worden, weil er dem nationalen Flügel angehört hatte – dem er aus meiner Sicht im Übrigen gar nie angehört hat –, sondern weil die FPÖ sich in einer schwierigen Phase befunden hatte, kaum mehr wahrnehmbar war und die Partei daher eine Erneuerung, auch inhaltlich, wollte. Die Themen, die Jörg Haider gebracht hatte, waren ja überwiegend keine nationalen Themen, sondern genau die Themen einer Positionierung gegen diesen Machtblock ÖVP-SPÖ, ob es die Anti-Privilegien-Kampagnen waren, die er gefahren ist, ob es generell der Ruf nach mehr direkter Demokratie oder auch das Volksbegehren „Österreich zuerst“ war. Das hat ja nichts mit national oder liberal zu tun. Ich kenne ganz viele FPÖler, die mit dieser Unterscheidung auch nicht wirklich etwas anfangen können, weil ja die Elemente sich nicht widersprechen, sondern durchaus zusammenpassen, auch historisch und geschichtlich. Das scheinbare Konfliktpotenzial, das beschworen wird, besteht aus meiner Sicht gar nicht, sondern es leitet sich aus der unrichtigen Analyse eines Ereignisses ab. Wenn man jetzt überlegt, welche Stellung Norbert Steger in der Partei hat, damit meine ich seine Stellung im Stiftungsrat des ORF, dann kann man ja gar nicht sagen: „Aha, das ist der Liberale!“ Fragt man ihn übrigens selbst, ob er sich zu den Liberalen zähle, sagt er, er habe sich nie so dem – unter Anführungszeichen – „liberalen Lager“ zugehörig gefühlt. Er ist Freiheitlicher – auch mit nationalen Elementen. Insofern gibt es diesen Widerspruch für mich nicht.
Muamer Bećirović
Ich tue mir schwer …
Andreas Rabl
Hab‘ ich’s mir gedacht … (schmunzelt)

© Bernhard Ibl

Muamer Bećirović
Ja, bissl … (schmunzelt) Ich tue mir aber auch mit der geschichtlichen Interpretation Österreichs der FPÖ schwer. Wenn man sich die Interpretation der Geschichte Österreichs der Volkspartei anschaut, geht das in die k.u.k-Monarchie zurück, sodass die Zeit der Monarchie Österreich ausmache. Wie sieht es bei der FPÖ aus? Da blicke ich nicht ganz durch. Ist das die Zeit der Babenberger? Die der Monarchie? Die der Ersten Republik? Der Zweiten? Was ist die Definition Österreichs der FPÖ?
Andreas Rabl
Die Wurzeln der FPÖ liegen aus meiner Sicht sicher im Bereich der Aufklärung begründet, als man sich das erste Mal von diesem ständischen Denken, von diesem Unterwürfigkeitsgedanken und auch von dem Prinzip, das jemand von Gottes Gnaden Macht erhält, verabschiedet hatte. Die Abschaffung der Leibeigenschaft durch Hans Kudlich ist zum Beispiel aus unserer Sicht ein Vorläufer der freiheitlichen Bewegung. Das ist ja so etwas, wo man sagt: Hier hat es einen Befreiungsschlag der Bevölkerung gegeben – nämlich zur damaligen Zeit einen der bäuerlichen Bevölkerung. Das spiegelt auch unsere historischen Wurzeln wider. Diese sind sicher in den großen nationalen Bewegungen, wie die Burschenschafter, das Wattburgfest als Initialzündung der ersten großen Versammlung, in der auch auf die Menschenrechte und Demokratie wertgelegt wurde, begründet. Das sind die Wurzeln – und die ziehen sich ja auch fort. Nicht umsonst wurden diese Revolutionsbewegungen 1848 erstens vom Bürgertum und zweitens auch von den Studenten sowie Studentenbewegungen wesentlich getragen. Das sind die Wurzeln, die aus meiner Sicht die FPÖ begründen. Wir wollen eine Verfassung, wir wollen Menschenrechte haben und wir wollen von diesem ständischen Denken wegkommen.
Muamer Bećirović
Also auf der einen Seite gab es die Sozialdemokraten, die Sozialisten mit der Arbeiterbewegung, auf der anderen Seite aus dem bürgerlichen Milieu die Christlichsozialen. Aus welchem Milieu sind der VdU und danach die FPÖ entstanden?
Andreas Rabl
Da muss ich Sie auch korrigieren. Aus meiner Sicht ist die ÖVP nicht aus dem klassisch-bürgerlichen Milieu entstanden, sondern die Konservativen – gerade im Zeitpunkt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – waren eigentlich die Klerikalen, waren die Adeligen monarchistisch eingestellten Kräfte und waren zum Teil das Bürgertum. Die FPÖ ist aus dieser studentischen Bewegung, die es gegeben hat, gewachsen – auch unterstützt durch das Großbürgertum, das ja sehr stark unabhängig sein wollte; verständlich, weil ihnen der Aufstieg in den Adel verwehrt geblieben ist und sie unabhängig und frei ihren Geschäften nachgehen wollten und deswegen auch die Unterstützung für dieses – unter Anführungszeichen – „Dritte Lager“. Beim VdU ist es aus meiner Sicht noch einen Schritt weitergegangen. Der VdU war sicher eine Bewegung, die ja aus damals rechtlichen Überlegungen und Gründen als Verein gegründet worden war. Er war sicher auch ein Sammelbecken von jenen, die vor dem Zweiten Weltkrieg im Landbund organisiert waren, aber natürlich auch ehemaligen Nationalsozialisten, die dabei waren, aber auch völlig Unabhängige, die einfach nicht SPÖ- oder ÖVP-Unterstützer sein wollten. Es war einfach die Alternative zu diesem Block.
Wir wollen eine Verfassung, wir wollen Menschenrechte haben und wir wollen von diesem ständischen Denken wegkommen.Andreas Rabl über die Grundwerte der FPÖ
Muamer Bećirović
Ich habe Ihre Grundsatzprogramme, aber auch die Wahlprogramme durchgelesen und ich blicke da nicht durch. Auf der einen Seite finde ich viele sozialdemokratische Elemente, auf der anderen Seite viele christdemokratische Elemente. Ich sehe da keine klare ideologische Handschrift. Das grenzt ja schon an Ich-nehme-mir-aus-allem-irgendetwas, eklektisch fast schon, dehnbar wie ein Kaugummi. Sie könnten eigentlich morgen mit den Sozialdemokraten wie auch mit den Christdemokraten koalieren, es würde keinen sonderbaren Unterschied machen.
Andreas Rabl
Also ich glaube, dass jede Partei eklektisch vorgehen muss, weil ja die Probleme konkret sind und diese konkreten Probleme auch konkrete Lösungen brauchen. Jede Partei sagt, sobald eine gute Lösung gefunden ist: „Das war meine Idee!“ Ganz oft in der Politik kommt „Das habe ich auch schon vorgeschlagen!“, „Das habe ich auch schon gemacht!“ und „So wollte ich es auch schon tun!“. Über die Urheberschaft der Ideen wird dann oft ein Urheberrechtstreit geführt, wer der Erste war. Eine Volkspartei, und ich betrachte auch die FPÖ als eine sehr breit angelegte Volkspartei, braucht diese Breite im Vergleich zu einer Sektiererpartei, die halt nur ein ganz enges Segment anspricht, wie es derzeit die Grünen aus meiner Sicht tun, die halt nur diese eine Positionierung haben und sonst nichts. Wenn ich mir die Programme der anderen Parteien anschaue, dann stelle ich fest, dass der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband höchstens im Lachsrosa auftritt, wohingegen die Sozialistische Jugend im Knallrot. Da sind auch Welten dazwischen und man kann sich entsprechend aussuchen, ob man jetzt da oder dort dabei. Das heißt, diese Breite ist notwendig, um auch sich in der Bevölkerung breiter darstellen zu können. Die FPÖ hat das wie jede andere große Partei auch und das ist auch nachvollziehbar, solange sich der blaue Faden durchzieht – und das tut er ja.
Muamer Bećirović
Jörg Haider ist zu einer Zeit Vorsitzender der FPÖ geworden, in der die Globalisierung einen Durchschlag gehabt hatte. Die Sowjetunion ist buchstäblich zusammengebrochen. Ein Drittel der Menschheit, das zuvor nicht am Weltmarkt beteiligt war, kam plötzlich auf den Weltmarkt. Produkte aber auch Arbeitskräfte konkurrierten untereinander. Mittlerweile geht es soweit, dass Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzt werden können. Spielt Ihnen das alles eigentlich nicht in die Hände?
Andreas Rabl
Ich betrachte die Globalisierung als Chance und Gefahr gleichermaßen. Man muss mit den Möglichkeiten dieser Globalisierung sehr behutsam umgehen, weil auf der einen Seite die Arbeitsteilung und der freie Welthandel unglaubliche Möglichkeiten eröffnen, auch was den Reichtum der Bevölkerung betrifft, auf der anderen Seite kann das naturgemäß auch ausgenützt werden. Derartiges haben wir auch schon im Zuge des Merkantilismus erlebt, als es dann Schranken gegeben hatte. Wenn man heute die weltpolitische Entwicklung anschaut, könnte dieser Weg ja wieder eingeschlagen werden, weil der Erste, der es macht, natürlich davon profitiert. Damals war es Ludwig XIV., heute ist es Donald Trump. Man sieht das auch an den Aktienkursen. An diesen lässt sich das ja ablesen. Das geht natürlich auf Kosten anderer, in dem Fall auf Kosten der Europäer und der Chinesen. Deswegen muss man aufpassen, wie man mit diesem Instrument umgeht und ob es gleichermaßen von der vollen Breite getragen wird. Ich betrachte diese Globalisierung daher mit gemischten Gefühlen.

© Alexander Kaindl

Muamer Bećirović
Aber die Partei tritt ihr doch sehr skeptisch gegenüber auf. Eigentlich wünscht sie sich ein Österreich der 70er-Jahre: Wohlstand, Sicherheit pur, Globalisierung dahingehend, dass man überall unsere Produkte verkaufen kann, aber alle negativen Konsequenzen, die es gibt, sollen uns ja nicht auf unserer Insel der Seeligen berühren.
Andreas Rabl
Also, zum einen: Die 70er-Jahre waren ja keine schlechte Zeit. Ich bin auch in den 70er-Jahren geboren (scherzend, Bećirović lachend) und habe mich in dieser Zeit durchaus sehr wohlgefühlt. Aber viele Probleme, die wir damals hatten, wurden zwischenzeitig behoben. Dessen ist man sich gar nicht mehr so bewusst, wenn man überlegt: Wir haben damals noch eine Sechstagewoche gehabt, der Samstag war auch noch ein Werktag. Es hat schon sehr viele sozialpolitische Maßnahmen gegeben, die eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität gebracht haben. Das blendet man ja in der nostalgischen Rückschau oft aus. Insofern glaube ich auch nicht, dass unsere Partei die 70er-Jahre zurückhaben will, weil, wenn Sie heute jemanden in der Bevölkerung fragen, ob er eine Sechstagewoche haben wolle, die Antwort sicher „Nein“ sein wird. Das ist ja nur ein Aspekt. Ich erinnere nur, damals wurden Zinsen von zehn bis zwölf Prozent für Kredite fällig. Finanzierungen waren daher extrem schwierig. Der Ölpreis mit den Verwerfungen nach oben und unten hat die Wirtschaft schwerst beeinträchtigt. Also so schön waren die 70er-Jahre dann auch wieder nicht, wenn man sie ein wenig genauer betrachtet.
Muamer Bećirović
Aber was denken Sie, wieso sich die Leute an das nostalgische Früher sehnen? Ist es, weil sich Österreich dahingehend verändert hat, dass mehr Migranten hier leben? Dass die Zeit viel schneller geworden ist? Was denken Sie, was der Grund für die Hektik heute ist?
Andreas Rabl
Wenn Sie Cicero lesen, dann schreibt er selbst davon, dass die Zeit früher viel besser und schöner wäre, weil die Werte viel besser wären. Ich kenne überhaupt keine Zeit, in der die Menschen nicht zurückblicken und sagen „Früher war es anders, schöner und besser“, weil man – und das liegt in der menschlichen Natur – die negativen Dinge halt oft ausblendet und die positiven besonders stark in Erscheinung treten. Tatsache ist, dass die Armut in der Welt massiv zurückgegangen ist, Österreich massiv vom internationalen Handel und Export profitiert hat, wir ein reiches Land geworden sind und heute in einem Wohlstand leben, der vor 20 Jahren undenkbar war – und die ganze Welt heute in einem Wohlstand lebt, der vor 20 Jahren undenkbar war. Es gibt im Vergleich zu früher kaum mehr Hunger auf dieser Welt. Wenn man sich damals die Bilder aus Äthiopien anschaute, war das ja wirklich herzzerreißend, wie schlimm diese Zustände waren. Heute hat sich das fundamental verändert und das ist natürlich auch ein Erfolg der Wirtschaftsform, wie wir sie derzeit haben, und die heißt nun mal „Kapitalismus, der in gewisser Weise soziale Elemente in sich trägt“.
In der Politik wird immer alles überdramatisiert, je nachdem wem es nützt und wem es hilft. Das ist ja auch nichts Ungewöhnliches.Andreas Rabl über Stilmittel der Politik
Muamer Bećirović
Trotzdem vermittelt Ihre Partei zumindest den Eindruck, wir stünden vor einer Apokalypse.
Andreas Rabl
Diesen Eindruck kann ich nicht nachvollziehen. Ich weiß nicht, wo Sie den herhaben …
Muamer Bećirović
Wenn man die Medien aufschlägt …
Andreas Rabl
Ich habe nicht den Eindruck, wir vermittelten, wir stünden vor einer Apokalypse. Wir sind in einer Regierung, machen dort wunderbare Arbeit in ganz vielen Bereichen, korrigieren Entwicklungen, die eine Fehlrichtung gehabt haben. Aber natürlich gibt es auch Probleme, die wir konkret ansprechen. Das ist ja …
Muamer Bećirović
Aber auch überdramatisierend?
Andreas Rabl
In der Politik wird immer alles überdramatisiert, je nachdem wem es nützt und wem es hilft. Das ist ja auch nichts Ungewöhnliches. Wir müssen ja, um eine Botschaft tatsächlich an die Bevölkerung zu bringen, auch Beispiele bringen, die griffig sind. Das passiert ja in ganz vielen Bereichen anhand von Einzelbeispielen, die diskutiert werden, anstatt das große Ganze im Auge zu behalten. Aber das ist halt ein Stilmittel der Politik – und das ist übrigens kein Stilmittel, das einzig die FPÖ anwendet, sondern jede Partei auch, die Grünen ebenso wie die Sozialdemokraten und die ÖVP.
Muamer Bećirović
Stimmt, aber bei der FPÖ hat man den Eindruck, dass sie die Grenzen des Sagbaren verschiebt und auch der Realität irgendwo entgegenspricht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Österreich ist ein Einwanderungsland, ja oder nein?
Andreas Rabl
Nein, natürlich sind wir kein Einwanderungsland.
Muamer Bećirović
Warum glauben Sie das?
Andreas Rabl
Das glaube ich nicht, das weiß ich. Das lässt sich für mich auch ganz leicht begründen. Wir wissen, dass wir eine gewisse Kapazität an Menschen haben, die wir aufnehmen können. Ein klassisches Einwanderungsland ist eines, das ausreichend Ressourcen hat, sowohl im Bereich der Arbeitskräfte als auch der Unterbringung, das heißt Wohnraum …

© Alexander Kaindl

Muamer Bećirović
Ich möchte zwischen Asyl und Arbeitsplätzen trennen …
Andreas Rabl
Ja, das möchte ich sowieso auch. Die Asylproblematik ist ja keine Einwanderungsproblematik, sondern wir reden gerade von tatsächlicher Einwanderung. Bei der Einwanderung muss ich sagen: Wie viel kann ich denn verkraften? Ein klassisches Einwanderungsland wie Amerika, oder auch Kanada und Australien, im 17., 18. und 19. Jahrhundert, in das Hunderttausende gekommen sind, weil das Land unbesiedelt war, weil es unglaublich viel Arbeit gegeben hatte, kann ich in Österreich nicht erblicken. Wir haben keine unbesiedelten Räume. Wir haben vielleicht in manchen Bereichen einen Fachkräftemangel, aber noch immer eine Arbeitslosigkeit von fünf Prozent. Das heißt, es gibt deutlich Arbeitskräfte, die zur Verfügung stehen, nur in falschen Qualifikationen. Da muss ich mich einmal um diese kümmern, die Qualifikationen verändern und nicht sagen „Ich hole gleich immer wen rein, wenn ein Job leer ist“. Das ist ja ein bissl zu einfach.
Muamer Bećirović
(amüsiert) Das ist interessant. 2050 ist ein Drittel der Österreicher über 60 Jahre alt. Wenn Ihre Kinder eines Tages eine Pension sehen wollen, ist es realitätsfern, zu sagen, diese lässt sich ohne die Finanzierung durch die Säule der Einwanderung stemmen? Österreich wird ohne jeglichen Zweifel vielfältiger werden, es geht gar nicht anders.
Andreas Rabl
Daran zweifele ich auch gar nicht. Die Frage ist, ob die Einwanderung der richtige Weg ist, weil: Wer sagt denn, dass die Leute, die nach Österreich kommen, tatsächlich die Jobs machen, die wir brauchen. Das ist ja noch gar nicht gesagt. Die Realität sagt ja genau etwas anderes, nämlich dass der Anteil der Schlechtqualifizierten oder der Migranten gerade im Bereich der Arbeitslosigkeit unfassbar hoch ist. Wer sagt also, dass dieses Modell „Wir holen die Leute rein, die machen dann das, was wir wollen“ stimmt? Das ist doch überhaupt gar nicht so. Wir sollten daher sehr viel eher eine bessere Familienpolitik machen. Wir sollten darauf schauen, dass es möglich ist, Beruf, Familie und Kinder zu vereinbaren, und da sind die Skandinavien-Staaten uns schon ein wenig voraus. Die, übrigens Frankreich auch, haben es mit dieser Politik schon sehr gut geschafft, mit Steuersplitting, Aufbewahrung der Kinder, Kinderbetreuungseinrichtungsausbau, die eigentliche Geburtenrate wieder in die Höhe zu ziehen, weil das aus meiner Sicht das Einzige ist, das tatsächlich Sinn macht.
Nein, natürlich sind wir kein Einwanderungsland.Andreas Rabl auf die Frage, ob Österreich ein Einwanderungsland sei
Muamer Bećirović
Wir haben beispielsweise die Gastarbeitergeneration deshalb reingeholt, weil es ziemliche viele Jobs gab, und auch Jobs, die bei uns niemand machen wollte …
Andreas Rabl
Ja, stimmt.
Muamer Bećirović
Das wird nicht aufhören.
Andreas Rabl
Das stimmt auch. Nur wissen Sie, was der Unterschied ist? In den 70er-Jahren hat es keine soziale Absicherung gegeben. Das heißt, die haben arbeiten müssen – übrigens in den 90er-Jahren war es auch noch so. Deswegen sind auch die Einwanderungs- und Flüchtlingswellen aus Kroatien und Serbien ganz anders betrachtet worden, und diese Leute sind ganz anders integriert als heute. Heute kommt jemand nach Österreich, hat sofort eine komplette Absicherung. Wenn er nichts arbeitet, kriegt er trotzdem seine Mindestsicherung, hat trotzdem eine Krankenversicherung, kriegt eine Wohnbeihilfe, die Kinder sind versorgt. Der hat überhaupt keinen Arbeitsanreiz mehr …
Muamer Bećirović
Für eine gewisse Zeit, ja.
Andreas Rabl
Was heißt „für eine gewisse Zeit“? Überhaupt nicht für eine gewisse Zeit. Das ist unbefristet, bitte. Warum hat er nur für eine gewisse Zeit diese Bezüge?
Muamer Bećirović
Naja, nach einem Jahr wird einem das Arbeitslosengeld ja auch gekürzt … (zwecks inhaltlicher Richtigkeit: Stand Jänner 2019 besteht gemäß §18 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) der Anspruch auf Arbeitslosengeld grundsätzlich für die Dauer von 20 Wochen, sofern die betreffende Person in den letzten 24 Monaten vor Inanspruchnahme insgesamt zumindest 52 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war; Anm.)
Andreas Rabl
Ich rede nicht vom Arbeitslosengeld, ich rede hier von der Mindestsicherung – und diese ist unbefristet. (ergänzend hiezu: Stand Jänner 2019 obliegt gemäß Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG die hiefür bedeutsame Grundsatzgesetzgebung dem Bund, die Ausführungsgesetzgebung den Ländern. Nach Ablauf einer hiezu schlagenden Art 15a-B-VG-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern Ende 2016 und mangels etwaiger Grundsatzgesetzgebung des Bundes wird die Mindestsicherung derzeit von jedem Bundesland anders geregelt; Anm.) Also es gibt überhaupt keinen Anlass dafür, sich in einen Arbeitsprozess zu begeben, weil …

© Alexander Kaindl

Muamer Bećirović
Aber wenn die Menschen arbeiten, ist Einwanderung schon okay?
Andreas Rabl
Nein, es kommt darauf an, wie wir sie machen …
Muamer Bećirović
Sie lehnen sie per se ab.
Andreas Rabl
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nicht gesagt, dass ich sie per se ablehne. Ich habe gesagt, dass sie nicht die Lösung für das Problem der Überalterung ist. Da muss es mehrere Maßnahmen geben, aber zu sagen „Ich hole mir die Leute rein, um die Überalterung zu korrigieren“, wird nicht funktionieren. Wir müssen in der Familienpolitik etwas machen. Es wird aber schon notwendig sein, dass wir in Teilbereichen qualifizierte Fachkräfte nach Österreich holen. Das machen ja auch viele andere Länder. Österreich ist ein attraktives Land, das sehr viel zu bieten hat. Deshalb sehe ich für Teilbereiche eine Lösung, aber nicht für das Problem der Überalterung. Das wird so nicht funktionieren.
Muamer Bećirović
Ich habe letztens im Grundsatzprogramm der FPÖ gelesen: „Schutz der autochthonen Bevölkerung“. Das habe ich nicht ganz verstanden. Wo ist die autochthone Bevölkerung gefährdet?
Andreas Rabl
Wir haben in manchen Bereichen, auch in größeren Städten ist das der Fall, Probleme, dass sich Ghettos bilden – und zwar nicht nur im Bereich der Wohngegenden, sondern auch in Schulen und so weiter. Wenn man sich als Österreicher in der eigenen Stadt oder im eigenen Land nicht mehr heimisch fühlt, weil rundherum nur mehr andere Nationalitäten leben …
Muamer Bećirović
Ist es in London anders?
Andreas Rabl
Nein, das ist in London nicht anders. Aber nur weil es in London nicht anders ist, heißt das nicht, dass ich das in Österreich will. Das will ich gerade nicht, sondern ich will schon, dieses Österreich, diese Heimat, die wir haben, schützen und sagen: „Wir wollen weiter so leben!“ Ich will nicht über Werte diskutieren, die in diesem Land Tradition haben und uns ausmachen. Das beginnt beim Essen von Schweinefleisch und das endet wahrscheinlich beim Tragen eines Kopftuches. Ich will auch nicht darüber diskutieren, ob meine Tochter ein Kopftuch tragen muss, nur weil alle anderen ein Kopftuch tragen. Das ist nicht der Weg, den ich beschreiten möchte.
Ich bin auf jeden stolz, der einem Job nachgeht, und auf jeden stolz, der diesen Job gut macht, weil er damit einen Beitrag zur Gesellschaft leistet. Das hat jetzt mit dem Kopftuch und auch mit der religiösen Zugehörigkeit nichts zu tun.Andreas Rabl über den gesellschaftlichen Beitrag
Muamer Bećirović
Warum glauben Sie, dass das passieren könnte?
Andreas Rabl
Weil es einen Druck gibt. Wir merken das auch jetzt schon. Der Grund, warum die Kopftuchträger in Österreich ansteigen, liegt ja darin, dass es einen Druck in diese Richtung gibt, dass die Kinder das mehr tragen sollen. Da passiert ja derzeit etwas, da ändert sich etwas in unserer Gesellschaft, auch wie der Islam wahrgenommen wird, auch wie der Islam selbstbewusster auftritt in Österreich.
Muamer Bećirović
Es hat auch damit zu tun, dass den Menschen, die der Religion angehören, suggeriert wird: „Ihr g’hörts eh ned dazu!“ Dann sagen die: „Jetzt erst recht!“ Das macht doch Ihre Partei …
Andreas Rabl
Die Ursachen können vielfältig sein. Tatsache ist, es gibt hier einen gesellschaftlichen Grundkonsens, der manifestiert sich nicht nur in Gesetzen, sondern auch einem Habitus und in verschiedenen Gebräuchen, wie man Dinge angeht, wie man miteinander kommuniziert, welche Stellung eine Frau in einer Gesellschaft hat. Wenn man diesen Grundkonsens in Frage stellt, und das wird von verschiedenen Gruppen auch gemacht, dann habe ich die Aufgabe als Politiker zu sagen: „Ich will diesen Grundkonsens nicht in Frage stellen. Wenn du hier leben willst, ist das in Ordnung, aber diesen Grundkonsens musst du akzeptieren. Wenn du das nicht willst, feel free.“
Muamer Bećirović
Ich war letztens – ist schon ein bissl länger her – in einem Krankenhaus unterwegs. Ich glaube, es war eines der Barmherzigen Schwestern. Dort habe ich eine Dame mit Kopftuch als Ärztin gesehen. Sind Sie stolz auf sie?
Andreas Rabl
Auf die Dame?
Muamer Bećirović
Ja.
Andreas Rabl
Das kann ich nicht sagen. Ich kenne sie ja nicht.
Muamer Bećirović
Ja, aber dass sie in Österreich ihren Beitrag leistet, anscheinend als Ärztin in Österreich tätig ist, Menschen aushilft. Ist sie für Sie Österreicherin?
Andreas Rabl
Auch das kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, welche Staatsbürgerschaft sie hat …
Muamer Bećirović
Die österreichische.
Andreas Rabl
Ich kann nur eines sagen: Ich bin auf jeden stolz, der einem Job nachgeht, und auf jeden stolz, der diesen Job gut macht, weil er damit einen Beitrag zur Gesellschaft leistet. Das hat jetzt mit dem Kopftuch und auch mit der religiösen Zugehörigkeit nichts zu tun. Es geht mir darum, wie er sich in die Gesellschaft einfügt. Das ist der viel relevantere Punkt. Wogegen ich etwas habe, ist, wenn es eine Parallelgesellschaft gibt, die sich entwickelt, die österreichische Werte ablehnt und Österreich sozusagen nur als Möglichkeit sieht, möglichst günstig und möglichst friktionsfrei auf Kosten anderer durchs Leben zu kommen. Das ist das, was ich ablehne. Jeder, der einen Beitrag leistet, ist willkommen.

© Alexander Kaindl

Muamer Bećirović
Aber viele aus Ihrer Partei suggerieren allerdings den Eindruck „Das is was Fremdes, des wü i a ned do hom“. Ich gebe Ihnen vielleicht ein Beispiel: Ich habe den Eindruck, vieles der FPÖ-Politik kanalisiert sich eigentlich auf den Migranten oder auf den Ausländer. „Kriegst du keine geförderte Wohnung, hat sie dir der Ausländer genommen!“ – „Ist die Bildung in den Schulen schlecht, sind zu viele Kinder von den Ausländern dort!“ – „Ist der Job weg oder gibt’s Druck am Arbeitsmarkt, ist es der Ausländer, der für geringeres Geld arbeitet!“ Jedes Thema lässt sich eigentlich darauf replizieren. Glauben Sie nicht, irgendwann gehen Ihnen Kopftuchverbote aus? Irgendwann gehen Ihnen auch einmal die Flüchtlinge aus!
Andreas Rabl
Ich glaube, dass Ihre Einschätzung völlig verfehlt ist. Die FPÖ ist nicht gegen „die Ausländer“ …
Muamer Bećirović
Das habe ich auch nicht gesagt.
Andreas Rabl
… Es gibt halt Missstände. Diese Missstände muss man auch konkret ansprechen, weil der andere Weg ist, der in der Vergangenheit gepflogen wurde, immer wenn die FPÖ gesagt hat: „Wir haben ein Kriminalitätsproblem bei den Ausländern“, hat’s geheißen: „Ihr seid’s Nazis!“. Als wir sagten: „Es gibt ein Problem in den Schulen wegen fehlenden Sprachkenntnissen“, hieß es: „Ihr seid’s Nazis!“. Diese Nazikeule ist auch etwas, das offensichtlich nie „ausgeht“. Es geht doch um einen differenzierten Zugang zu den Dingen. Den kann man nur haben, wenn man Probleme, die bestehen, anspricht, und zwar sehr konkret anspricht und sagt: „Das ist das Problem und das ist die Lösung, die wir haben!“
Muamer Bećirović
Aber Sie gehen darüber hinaus. Ich gebe Ihnen ein Beispiel – ich will den Namen nicht nennen (es wird Bezug auf einen ehemaligen nichtamtsführenden Wiener Vizebürgermeister, Stand Jänner 2019 nunmehrigen Nationalratsabgeordneten genommen, der Mitte Oktober 2018 die Behauptung aufstellte, dass die Anonymisierung von Namensschildern in Wiener Gemeindebauten mit dem vermeintlichen Vorhaben der Stadtregierung zusammenhänge, den „Zuwandereranteil aus islamischen und außereuropäischen Raum in Gemeindebauten“ [sic!] zu vertuschen; Anm.): In Wien müssen Sie, wenn Sie sich für eine geförderte Wohnung anmelden, auf ein Ticket warten – und es ist egal, wie Sie ausschauen, ob Sie schwarz, weiß, asiatisch, kopftuchtragend oder nicht sind, Sie kriegen ein Ticket und Sie warten bis eine Wohnung für Sie verfügbar ist. Einer von Ihnen, der mir in letzter Zeit aufgefallen ist, suggeriert den Eindruck, man bekomme eine geförderte Wohnung, weil man eben ausländisch sei, anders ausschaue oder dergleichen. Sie spielen damit und das wissen Sie auch!
Andreas Rabl
Nein, nein! Da müssen Sie mir schon konkretere Dinge vorlegen. Vom Hören-Sagen, vom Da-kenne-ich-wen … Das ist mir zu wenig. (scherzend) Ich kann Ihnen sagen, was wir in Wels machen. Es gibt eine konkrete Wohnungsvergaberichtlinie und da steht ganz konkret drinnen: Wenn jemand, nach fünf Jahren des Aufenthaltes hier in Wels, nicht Deutsch spricht, kriegt er keine Wohnung, weil ich sage: Fünf Jahre müssen reichen, dass ich soweit integriert bin, um Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu haben. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wenn ich in einem Land leben will und dort bleiben will, dass ich es nicht der Mühe wertfinde, Grundkenntnisse der hiesigen Sprache zu erwerben. Das hat ja auch weitreichende Auswirkungen.
Ich kenne kein Beispiel, das abseits des Faktischen angesprochen wurde. Wir sprechen Probleme an, die vorher nicht angesprochen worden sind und bei denen wir als Nazis und so weiter beschimpft worden sind, weil wir sie überhaupt ansprechen, da es keine differenzierte Grundhaltung gibt.Andreas Rabl über die Verteufelung der FPÖ und den Vorwurf, dass sie sich oft abseits der Realität bewege
Muamer Bećirović
Schauen Sie, ich habe mir das auch überlegt. Ich habe gewusst, dass Sie mir damit kommen, indem Sie sagen: „Geben Sie mir ein konkretes Beispiel!“. Ich hätte zuhause Seiten ausdrucken können. Das wollte ich aber nicht machen, weil wir uns dann wieder in den Details verfangen hätten. Trotz dessen gibt es ja in Ihrer Partei Leute, die damit spielen. Würden Sie das verneinen?
Andreas Rabl
Ja! (entschieden)
Muamer Bećirović
Wirklich?
Andreas Rabl
Ja, das würde ich verneinen!
Muamer Bećirović
Ich würde schon sagen, seitdem die FPÖ im Aufmarsch ist, das gesellschaftliche Klima doch rauer geworden ist – „Wir gegen die anderen!“.
Andreas Rabl
Uns gegenüber. Uns gegenüber ist es rauer geworden. (Bećirović lacht) Das ist völlig richtig! Die Verteuflung der FPÖ hat stattgefunden und wird immer stärker. (in einem leicht humoristisch angehauchten Unterton) Da wird das Klima rauer!
Muamer Bećirović
Aber ich bitte Sie, Sie hauen ja wirklich auf diejenigen, die sowieso kein Sprachrohr haben. Da hauen Sie schon wirklich drauf.
Andreas Rabl
Auf wen?
Muamer Bećirović
Auf die Migrantengruppen oder dergleichen.
Andreas Rabl
Wir sprechen Probleme an. Das tun wir aus meiner Sicht auch zurecht.
Muamer Bećirović
Und weit überspitzt, abseits des Faktischen.
Andreas Rabl
Nein, das stimmt nicht. Ich kenne kein Beispiel, das abseits des Faktischen angesprochen wurde. Wir sprechen Probleme an, die vorher nicht angesprochen worden sind und bei denen wir als Nazis und so weiter beschimpft worden sind, weil wir sie überhaupt ansprechen, da es keine differenzierte Grundhaltung gibt. Daher versuche ich auch, in der Diskussion wieder zu dieser Differenziertheit zurückzufinden. Es ist doch zu einfach zu sagen: „Die FPÖ ist gegen die Ausländer“, genauso ist es zu einfach zu sagen: „Die FPÖler sind lauter Nazis“. Das eine stimmt nicht und das andere stimmt nicht. Es gibt Probleme. Wir sprechen die Probleme an. Wir sprechen sie zum Teil überspitzt an. Das ist ein Stilmittel der Politik. Das machen alle gleichermaßen. Dass man sich Beispiele herausgreift, die auf die eine oder andere Art außergewöhnlich sind, weil sie dann besonders einprägsam sind, ist auch nachvollziehbar. Aber wie gesagt, wir sind in der Politik und nicht im Mädchenpensionat.

© Bernhard Ibl

Muamer Bećirović
Das ist ja das Interessante. Sie wissen ja auch, was Sie machen. Sie sind ja kluge Köpfe, außer Frage. Seitdem die FPÖ in der Regierungsbeteiligung ist, ist in wie vielen Fällen speziell über Flüchtlinge diskutiert worden, sei es, ob Flüchtlinge Messer mitdabeihaben dürfen oder das Kopftuch entweder auf der Uni, im Kindergarten oder wo auch immer verboten wird. Sie übertünchen es. Sie halten das Thema ja auch sehr gerne warm.
Andreas Rabl
Weil es ja auch viele Probleme in diesem Bereich gibt. Das Kopftuchverbot ist in Frankreich ja ganz selbstverständlich.
Muamer Bećirović
Sie beschwören es ja auch auf.
Andreas Rabl
Es gibt ja die realen Probleme. Jetzt in Steyr ist wieder ein Mädchen von einem Afghanen mit zwei Messerstichen ermordet worden (am 9. Dezember 2018 soll nach momentanem Kenntnisstand ein 17-jähriger, afghanischer Asylwerber ein 16-jähriges Mädchen erstochen haben; Anm.). Wir haben eine Zunahme der Messerattentate und der Messervergehen, die ist gewaltig – plus 300 Prozent ist die Zahl, die ich im Kopf habe. (dem Bundeskriminalamt zufolge hat sich die Zahl der Delikte mit Stichwaffen von 2007 bis 2016 um rund 293 Prozent gesteigert; Anm.) Dass das ein Problemfeld ist, über das wir reden müssen, ergibt sich ja, wenn ich die Medien lese. Beim Kopftuchverbot muss ich Ihnen sagen, auch das Kopftuchverbot hat ja eine Begründung, weil, wenn heute im Kindergarten und Volkschulen schon Kopftücher getragen werden, dann ist das Ausdruck eines politischen Denkens und hat nichts mit dem Islam im klassischen Sinn zu tun, weil man das Kopftuch erst zu tragen hat, wenn das Mädchen die Pubertät abgeschlossen hat. Insofern sage ich Ihnen, natürlich ist das Ausdruck einer Politik, die ganz bewusst gemacht wird. Das sind politische Zeichen! Nicht umsonst gibt es in Frankreich ein komplettes Kopftuchverbot. Regt es dort irgendwen auf? Ist die Rede davon, dass die, die das dort eingeführt haben, lauter Nazi wären? Nein, überhaupt nicht!
Denn wir haben auch einen sozialen Schwerpunkt. Sehr viele Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit ergriffen haben, sei es der Familienbonus, sei es auch die Erhöhung der Mindestpensionen oder die Reform der Mindestsicherung sprechen wir auch an. Das sind sozialpolitische Maßnahmen, die sinnvoll und wichtig sind.Andreas Rabl über die Schwerpunkte der FPÖ
Muamer Bećirović
Aber der Unterschied ist, in Frankreich sind alle religiösen Symbole verboten, in Österreich ist das nicht der Fall. Selbst im Gerichtsaal ist ein Kreuz zu finden.
Andreas Rabl
Schon lange nicht mehr! (tatsächlich gibt es Stand Jänner 2019 keine gesetzliche Regelung, die das Kreuz in österreichischen Gerichtssälen verböte oder vorschriebe; es finden sich heute nach wie vor in vielen Gerichtssälen Kreuze; Anm.)
Muamer Bećirović
Oder anders wo: In den Schulen.
Andreas Rabl
Auch nicht mehr.
Muamer Bećirović
Ausnahmsweise, nicht in jeder. (grundsätzlich sieht §2b Religionsunterrichtsgesetz vor, dass in einer öffentlichen bzw. mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule, deren Schüler mehrheitlich christlichen Glaubens sind, ein Kreuz aufzuhängen ist; Anm.)
Andreas Rabl
In den privat geführten Schulen. Dort ist es durchaus möglich.
Muamer Bećirović
Nicht nur, auch in den öffentlichen. Aber gut, in den Privatschulen ja. Nun ja, ich bin der Erste, der sagt: „Entweder wir verbieten alles oder wir lassen alles zu!“ Sie würden also verneinen, dass die FPÖ gerne das Migrationsthema warmhält. Natürlich werden Sie immer Probleme mit Migranten haben. Das wissen Sie auch.
Andreas Rabl
Ja, die muss man dann auch ansprechen. Wir haben einen Schwerpunkt, schauen’S …
Muamer Bećirović
… aber andere Themen lassen Sie außen vor. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Das Pensionsthema spricht keiner an, stattdessen erhöhen Sie die Mindestpension, ohne zu überlegen, wovon die Jungen eines Tages eine Pension bekommen werden. Jede fachpolitische Auseinandersetzung wird an den Migranten oder an der Auseinandersetzung mit der Migration geknüpft. Schlagen Sie die Zeitung auf! Da können wir gleich nachschauen.
Andreas Rabl
Nein, ich sehe das ein bisschen anders. Wir haben einen Schwerpunkt, der betrifft den Bereich Sicherheit und Integration sowie Migration. Das ist ein Schwerpunkt, den die FPÖ hat, genauso wie vielleicht die ÖVP im bäuerlichen oder im Wirtschaftsbereich einen Schwerpunkt setzt und andere in anderen einen Schwerpunkt setzen. Aber das ist nicht der einzige Schwerpunkt, den wir haben. Denn wir haben auch einen sozialen Schwerpunkt. Sehr viele Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit ergriffen haben, sei es der Familienbonus, sei es auch die Erhöhung der Mindestpensionen oder die Reform der Mindestsicherung sprechen wir auch an. Das sind sozialpolitische Maßnahmen, die sinnvoll und wichtig sind. Nur: Ich kann einen Bereich nicht ausklammern, in dem es viele Probleme gibt, nur weil ich sage: „Oh je, pfui gackerl wenn du das ansprichst!“. Nein, das machen wir nicht! Ich finde es auch richtig. Bleiben wir bei den Positionierungen, die wir haben. Weil Sie gesagt haben, Sie könnten diesen Faden nicht erkennen, ich schon, und der heißt eindeutig: Wir sind für eine Law-and-Order-Politik im Bereich der Sicherheit und Migration.

© Alexander Kaindl

Muamer Bećirović
Ist das die Christdemokratie auch?
Andreas Rabl
Nein. Das ist die Christdemokratie gerade nicht. Schauen Sie sich an, wie die Integrationspolitik und die Verschärfungen in dem Zusammenhang Proteste von Christlichsozialen, von ÖVP-Teilorganisationen nach sich gezogen haben. Da hat es massiven Widerstand gegeben. Nicht umsonst sind die westlichen Bundesländer gegen Kurz auf die Barrikaden gestiegen, wie Sie wissen. Ganz so ist das bei der ÖVP wieder nicht zu haben. Da gibt es noch ein bisschen die Unterscheidung zwischen den „Türkisen“ und den „Schwarzen“. Das hat noch immer ein bisschen was.
Muamer Bećirović
Das mag definitiv stimmen. Ich habe einmal nachgeschaut, wer eigentlich die FPÖ wählt. Ein großes Segment sind die Niedrigverdiener, aber auch Leute ohne Hochschulabschluss unter anderem. Was mir bei Ihnen auffällt: Warum kommt die Chancengerechtigkeit bei Ihnen so kurz?
Andreas Rabl
Das kann ich nicht nachvollziehen.
Muamer Bećirović
Naja, warum streben Sie zum Beispiel keine Ganztagsschule oder Gesamtschule an? Ich habe den Eindruck, die FPÖ-Funktionärskaste ist ganz oben, die ist aus gutbürgerlichem Hause, aber Sie werden von Leuten gewählt, die nicht unbedingt Repräsentanten dafür sind, oder?
Andreas Rabl
Was die Chancengerechtigkeit betrifft, glaube ich, dass wir gerade mit unseren sozialpolitischen Maßnahmen versuchen, diese Chancengerechtigkeit herzustellen und dass das auch in ganz vielen Bereichen gelingt. Tatsächlich ist, dass die Gesamtschule keine adäquate Lösung ist. Wenn man sich international anschaut, ob die Gesamtschule etwas gebracht hat oder nicht, dann muss wir nach Dänemark oder in die Niederlande schauen und sagen, dass sie eigentlich gescheitert ist. Das liegt natürlich auch in unserem Parteiparteiprogramm. Wenn wir davon ausgehen, dass der Tüchtige gefördert werden und dass es daher auch eine unterschiedliche Behandlung und eine unterschiedliche Förderung geben soll, je nachdem welche Fähigkeiten wer mitbringt, dann ist für mich völlig klar, dass es auch unterschiedliche Schulen braucht. Ich kann mit jemandem, der eine sehr rasche Auffassungsgabe hat, sehr viel mehr und sehr viel spezieller arbeiten, als mit jemandem, der sehr viel mehr Unterstützung braucht.
Ich finde es furchtbar, dass jeder immer gleich sein soll. Nein, die Leute sind unterschiedlich, unterschiedlich begabt. Unterschiedliche Talente gehören unterschiedlich gefördert.Andreas Rabl über die Verschiedenheit von Menschen
Muamer Bećirović
Ich habe aber den Eindruck, die Bildungspolitik der Freiheitlichen ist eigentlich „Der Arbeiter soll der Arbeiter bleiben“.
Andreas Rabl
Nein, überhaupt nicht. Das stimmt auch gar nicht im Übrigen. Wir wissen genau, dass sich ja heute sehr viele als gelernte Fachkräfte in diesem Arbeitermilieu bewegen, die ja überwiegend FPÖ wählen. Das heißt, gerade die gelernten Handwerker sind das Rückgrat unserer Wirtschaft. Das sind eigentlich die klugen Köpfe, die nach oben streben. Da bin ich der Meinung, diese sollten wir unterstützen, daher die Lehre in ihrer Bedeutung wesentlich erhöhen, besser bezahlen, fördern, damit sie wieder eine Wertigkeit bekommt, weil das die Kräfte sind, die uns fehlen. Ich sage Ihnen, ich war Anwalt. Wir haben in unserer Kanzlei auch Akademikerinnen als Sekretärinnen beschäftigt, weil sie nirgendwo anders einen Job bekommen haben. So einfach ist die G’schicht, weil wir einfach am Bedarf vorbeiproduzieren. Jeder glaubt, der Akademiker ist das Allerbeste, das es auf der ganzen Welt gibt. Nein, das ist schon lange nicht mehr der Fall. Auch da muss man sehr differenziert vorgehen. Also schauen wir, dass wir die Lehre fördern und dass wir diese zu Fachkräften heranbilden. Das ist das, was die Wirtschaft braucht. Damit ist auch der soziale Aufstieg verbunden. Das finde ich völlig richtig. Daher glaube ich auch, dass die FPÖ in der Bildungspolitik einen richtigen Schwerpunkt setzt, nicht diese Nivellierung der SPÖ, die sagt: „Alle sind gleich“. Ich finde es furchtbar, dass jeder immer gleich sein soll. Nein, die Leute sind unterschiedlich, unterschiedlich begabt. Unterschiedliche Talente gehören unterschiedlich gefördert. Ich sage Ihnen, mein Sohn zum Beispiel hat einen Test über Begabungen et cetera gehabt, handwerklich völlig ungeeignet. Er hat ein sprachliches Talent. Gut, es gibt halt diese und jene Talente. Das heißt nicht, das eine ist besser als das andere. Es ist halt unterschiedlich. Also fördern wir doch die Talente dort, wo sie liegen.
Muamer Bećirović
Dann müssten Sie doch ein Fan der Ganztagschulen sein, oder?
Andreas Rabl
Die Ganztagschule ist etwas anders zu betrachten als die Gesamtschule. Ich glaube schon, Ganztagschule eine Berechtigung hat und zwar weil die Nachmittagsbetreuungen wesentlicher Bestandteil im Leben jener Familien ist, in denen beide Eltern arbeiten und Kindern eine entsprechende Förderung geben wollen. Deswegen haben wir auch in Wels durchaus Ambition, die Ganztagschule auszubauen. Das ist für mich aber keine Frage der direkten oder unmittelbaren Bildung, sondern eine Frage der Betreuung. Was mache ich mit den Kindern am Nachmittag? Wie kann ich sie bestmöglich fördern, dass sie auch am Nachmittag eine Erziehung und Förderung bekommen, damit sie sich weiterentwickeln? Das hat aber mit der Gesamtschule gar nichts zu tun. Ich werfe nicht alle in einen Topf. Ich gebe Kindern individuell die Förderung, die sie brauchen.

© Bernhard Ibl

Muamer Bećirović
Wagen wir eine Prognose für die FPÖ – was ja recht schwierig ist –, wie es in zehn bis 20 Jahren ausschauen wird! Heute hat sie ein Viertel der Stimmen, 25 Prozent, das ist ein starkes Ergebnis. Da kann durchaus sagen, das ist auf dem Niveau einer Volkspartei. Glauben Sie, dass sie weiterhin so stark bleibt? Ich möchte zwei Gründe nennen, warum ich daran zweifle. Ich glaube persönlich, dass sie an der Realität scheitert. Ich glaube nicht, dass sie in vielen Bezügen, in vielen Fragen die richtigen Antworten hat. Jene im Bereich der Migration werden nur supranational zu lösen sein. Dem widerstreben Sie eigentlich – also die Partei. Das Einwanderungsthema werden Sie ebenfalls nicht geregelt bekommen, weil wir mehr Einwanderung bekommen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Dinge wie Wirtschaftsfragen und globale Perspektive werden auch nur auf europäischer Ebene zu regeln sein. Wenn Ihnen einmal die Themen ausgehen, und das werden sie eines Tages, irgendwann geht Ihnen einmal das Flüchtlingsthema, das Migrationsthema aus, was bleibt dann übrig?
Andreas Rabl
Zum ersten teile ich Ihre Einschätzung überhaupt nicht. Die einzige Partei, die sich derzeit in einer Identitäts-, Sinn-, Sach- und Themenkrise befindet, ist die SPÖ. Ihr sind die Themen wirklich ausgegangen und sie hat keine weiteren gefunden. Was die Antworten der FPÖ betrifft, so muss ich Ihnen sagen, wir waren diejenigen, die richtig gelegen sind – in allen Belangen im Übrigen, unter anderem was die dichtzumachenden Grenzen betrifft, als man gesagt hat: „Das geht gar nicht“, „Wir schaffen das nicht“; es ist gegangen. Auch die insgesamte Beantwortung der Integrations- und Migrationspolitik durch die Konzepte, die wir haben, war eigentlich die bisher richtige. In Europa findet gerade eine Gegenbewegung statt, nämlich dass man die Konzepte aufgreift, die wir propagiert haben, weshalb auch die Sozialdemokratie in Europa eine Niederlage nach der anderen erleidet. Man sagt ja immer „Rising Right“, „Oh je, was passiert hier in Europa?“, aber die Bevölkerung hat schon erkannt, dass die Antwort der Sozialdemokratie offenbar die falschen war und die der FPÖ und der Bündnispartner die richtige. Insofern kann ich das nicht ganz nachvollziehen, was Sie da sagen. Ich glaube auch nicht, dass uns die Themen ausgehen. Das Migrations- und Integrationsthema ist derzeit und ich sage „derzeit“ – nur auf nationaler Ebene zu lösen, weil man sehr rasch auf EU-Ebene erkannt hat, dass es hier gar keinen Willen gibt, das zu lösen. Die Solidargemeinschaft ist ja sehr rasch zerbrochen, als es geheißen hat, jeder solle ein paar Flüchtlinge aufnehmen. Es hat dann jeder gesagt: „Ich nicht, ich nicht! Das müssen schon die anderen machen“. Soviel zur Solidargemeinschaft, wenn es wirklich um etwas geht – und da geht es nur um eine Kleinigkeit. Daher stelle ich mir die Frage: Wie groß ist denn das solidarische Europa, wenn es dann um die Übernahme von Pflichten geht? Es ist nämlich überhaupt nicht mehr solidarisch, denn jeder schaut nur mehr auf sich selbst. Das ist genau das Problem, das ich anspreche. Derzeit kann man es nur auf nationaler Ebene lösen. Was die Themen betrifft – Prognosen sind schwierig, sie betreffen die Zukunft, das wissen wir –, haben wir einen Themenbereich als FPÖ, den man nicht außer Acht lassen darf, nämlich auch das soziale Thema. Wie gehe ich zukünftig mit sozialen Themenstellungen um? Wer soll überhaupt noch Sozialleistungen bekommen? In welchem Ausmaß? Und da sind wir sicher themenführend, weil, dass jeder alles bekommen kann, das wird es – da bin ich bei Ihnen – in Zukunft nicht mehr spielen. Auch hier wird es einen Nachdenkprozess geben müssen. Auch das Thema der Demokratie, auch der direkten Demokratie, wird sicher ein Thema sein, das uns weiter begleiten wird, weil wir neue demokratische Konzepte brauchen werden. Die jetzigen sind nicht mehr in der Lage, die Bevölkerung soweit einzubinden, wie wir uns das eigentlich alle wünschen. Die Wahlbeteiligungen sinken. Vielleicht ist die direkte Demokratie eine gute Antwort darauf.
Es gibt unterschiedliche Ansichten zu unterschiedlichen Themen. Eine Partei lebt auch von der Vielfalt und vom Austausch dieser Themen.Andreas Rabl zur Frage der Flügel innerhalb der FPÖ
Muamer Bećirović
Sie sind nicht eigentlich eine Sozialdemokratie mit nationalem oder blauem Einschlag?
Andreas Rabl
Nein, weil der wesentliche Unterschied zur Sozialdemokratie und uns darin liegt, dass die Sozialdemokratie in einer Gleichmacherei verharrt und jeder in allen Bereichen gleichbehandelt werden soll, während wir sagen: Die Menschen sind unterschiedlich in ihren Begabungen, in ihren Ausstattungen. Auf diese Unterschiede muss man Rücksicht nehmen.
Muamer Bećirović
Sie glauben in dem Fall, dass die größten Probleme, die vorherrschen, Migration, Klimawandel, Regulierung der Wirtschaft im 21. Jahrhundert, Robotisierung und alles drum und dran, eher national als supranational zu lösen sind?
Andreas Rabl
Das habe ich nicht gesagt.
Muamer Bećirović
Ich weiß, aber ich frage ja nach.
Andreas Rabl
Das Migrationsthema ist derzeit auf nationaler Ebene zu lösen. Die ganzen Wirtschaftsthemen wird man nur supranational lösen können. Dafür wird die EU auch die richtige Antwort finden müssen. Aber die Mechanismen, wie es dazu kommt, passen derzeit nicht. Da muss man sich auch in einen Reformprozess begeben. Da muss man vor allem auch zur Kenntnis nehmen, dass die Interessen in Europa, Norden gegen Süden, Westen gegen Osten, völlig unterschiedlich sind und dass man das hier und da nicht unter einen Hut bringen wird können.

© Bernhard Ibl

Muamer Bećirović
Vor ein paar Jahren haben Sie – nicht Sie persönlich, aber Ihre Partei – für ein Referendum plädiert, aus der EU auszutreten. Heute schlagen Sie andere Töne an. Weil Sie es ansprechen, Sie scheinen Pragmatiker zu sein. Sie sagen, die Themen, die auf supranationaler Ebene zu lösen sind, solle die Union lösen, indem man ihr die Macht dazugibt. Wollen Sie ihr die Macht dazu geben?
Andreas Rabl
Zum einen, die FPÖ hat kein Austrittsreferendum vorgeschlagen. Der damalige Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer hat gesagt, wenn die Bevölkerung im Rahmen eines Austrittsreferendum einen Austritt wolle, würde er sich nicht dagegen aussprechen. Das ist doch etwas ganz anderes. Es geht hier um den Volkswillen und wie man damit umgeht. Aus meiner Sicht ist der Volkswille naturgemäß zu akzeptieren. Wir leben in einer Demokratie und nicht in etwas anderem. Was den Pragmatismus betrifft, muss ich Ihnen sagen, ist es das ganz normale Subsidiaritätsprinzip, wie es auch im Lissaboner Vertrag festgeschrieben steht, nämlich dass man jene Ebene Aufgaben erledigen lässt, die tatsächlich dafür verantwortlich ist. Wenn es eine nationale ist, die dort besser erledigt werden kann, dann macht dies die nationale Ebene, ansonsten die EU. Was die Machtbefugnisse betrifft: Die EU hätte eigentlich diese Machtbefugnisse, sie muss sie nur ausüben. Dazu braucht es eben diesen Konsens der Mitgliedsstaaten. Es ist ja die Schwierigkeit, diesen herzustellen. Da geht es vor allem um eine Grundhaltung. Derzeit ist dieser Richtungsstreit um diese Grundhaltung das so große Thema in der EU. Gehen wir weiter in die Richtung der Gleichmacherei oder probieren wir einen anderen Weg? Ich bin dafür, dass wir einmal einen alternativen Weg probieren, denn der bisherige hat ja offensichtlich nicht optimal funktioniert.
Muamer Bećirović
Was ich gelernt habe aus diesem Gespräch, dass es mehrere Flügel in der FPÖ gibt. Ich habe mir gedacht, es gibt nur einen.
Andreas Rabl
Wissen Sie, da komme ich mit einem Zitat von Jörg Haider: „Alle reden von einem linken und rechten Flügel in der FPÖ. Wir sind doch keine Vögel, sondern wir sind eine Partei!“ Also ich glaube nicht, dass es Flügel gibt. Es gibt unterschiedliche Ansichten zu unterschiedlichen Themen. Eine Partei lebt auch von der Vielfalt und vom Austausch dieser Themen.